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Kompromate als politisches Spiel oder Verhaltensnorm?!

In den vergangenen Wochen dreht sich das politische Leben in Bulgarien um sogenannte Kompromate – veröffentlichtes Material, das Spitzenpolitiker diskreditiert. Dabei gibt es verschiedene „Spielvarianten“, angefangen bei Tonaufnahmen von Gesprächen, über Fotos aus dem Privatleben bis SMS-Korrespondenz und Chats in den sozialen Netzwerken zwischen Vertretern der Regierung und Unternehmern. All das läuft vor dem Hintergrund der wütenden Corona-Seuche, was zusätzlich das Gefühl der Unsicherheit und Instabilität nährt. Einer Seuche gleich werden Spannungen im gesellschaftlich-politischen Leben des Landes eingeimpft. Wie denken darüber die politischen Analysten?

Laut Dozent Dr. Iwo Indschow von der Universität in Weliko Tyrnowo verfolge die Veröffentlichung von SMS, abgehörten Gesprächen und Chats zwischen Spitzenpolitikern und Geschäftsleuten ganz konkrete Ziele:

„Es gibt verschiedene Sujets. Solche Kommunikationsmittel sind massenweise in Gebrauch und man weiß nie, inwieweit das echt, oder eine zusammengeschusterte Lüge ist. Falls sich dieses Material, das als Kompromat verwendet wird, als eine wahre Information erweiset und die Machthaber oder die Untersuchungsbehörden sie zu verschweigen versuchen, ruft das unweigerlich die Wut der Massen hervor. Angesichts der herannahenden Wahlkampfzeit ist es wichtig, dass die politischen Kräfte und Bürgervereinigungen klare und zielgerichtete Botschaften geben. Sie müssen dem enttäuschten bulgarischen Volk Hoffnung machen. Man kann nicht einzig mit Kritik am Gegner politische Dividende horten.“

In einem Interview für den Bulgarischen Nationalen Rundfunk äußerte Ewgenij Dajnow, Professor für Politwissenschaften an der Neuen Bulgarischen Universität, dass die Macht im Land nichts mit Politik zu tun habe:

„Politik ist transparente Machtausübung vor den Augen und unter der Kontrolle der Gesellschaft im Rahmen der Einschränkungen, die die Gesetze und die Verfassung auferlegen. In Bulgarien gibt es keine Politik; es gibt lediglich eine Machtausübung. Die Beschlüsse werden geheim getroffen und daher findet ein gegenseitiger Kampf mit Kompromaten statt. Es gibt also eine Machtausübung und ein Kampf, an die Macht zu kommen bzw. diese nicht zu verlieren. Die einzige Politik, die in Bulgarien geführt wird und die auch der Definition entspricht, sind die Proteste. Offensichtlich werden sie zunehmen, da eine moderne Gesellschaft nicht ohne Politik leben kann. Die Bürger können jedoch die Tatsache nicht ausgleichen, dass die Macht außer Kontrolle geraten ist und einzig auf den Konsum der gesellschaftlichen Ressourcen ausgerichtet ist. Und darin liegt das Problem; einzig mit unbedeutenden Reformen wird es nicht gehen. Man muss wieder bei null anfangen. So wie es von der Wende von 1989 keine Politik gab, gibt es sie heute erneut nicht.“

Warum ist das Gespräch über die Kompromate und nicht die Politik führend? Gibt es Chancen, dass sich hierbei etwas ändert?

„Man darf die gute Chance nie vernachlässigen, wenn wir auf etwas Positives aus sind“, kommentiert der Politologe Prof. Petar-Emil Mitew.

„In der Sache gibt es einige Schlüsselpunkte. Beide grundlegende Parteien – die regierende GERB-Partei und die oppositionelle Bulgarische Sozialistische Partei befinden sich in einer kritischen Lage und stehen höchst wahrscheinlich vor einer Krise. Vor dem Hintergrund des Kompromaten-Kriegs sehen alle sehr erbärmlich aus. Die Öffentlichkeit bekommt das Gefühl, dass wir langsam und unmerklich im Sumpf versinken, weil es an Anstand und Ehrbarkeit mangelt. Es sind jedoch neue politische Projekte im Aufbau begriffen. Auch wenn sie noch nicht auskristallisiert sind, verstehen sie sich als eine Alternative zur bestehenden Leitung. Eine klarere Prognose kann vielleicht erst im Herbst gemacht werden.“

Redaktion: Krassimir Martinow

Übersetzung: Wladimir Wladimirow

Fotos: BGNES, BNR, Archiv


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