Der Johannistag gehört in Bulgarien zu den beliebtesten Winterfesten. An diesem Tag begeht die orthodoxe Kirche in Bulgarien die Synaxis (sprich Versammlung) des heiligen ruhmreichen Propheten, Vorläufers und Täufers Johannes.Er gilt als der letzte Prophet des Alten Testaments, weil er den Menschen das Kommen des Erlösers angekündigt hat. In Bulgarien genießt dieses Fest eine besondere Bedeutung, zumal es einen Tag nach der Taufe des Herrn, begangen wird. Und so sind die verschiedensten Bräuche verbreitet.
Im Dorf Karaissen in Mittelbulgarien wird am Johannistag ein spezielles Ritual vollführt, dass „Iwanowi Wlatschugi“ genannt wird. Es ist ein sehr alter Brauch, der von einer Generation an die nächste weitergegeben wird. Er ist für dieses Dorf typisch und wird am alten Dorfbrunnen begangen. Dort finden sich Jungvermählte, heiratsfähige Mädchen und Burschen sowie all jene ein, die an diesem Tag Namenstag feiern. Der Brauch besteht im Grunde genommen in einer rituellen Waschung, die Gesundheit und Fruchtbarkeit bescheren soll. Das Ritual ist einzigartig und wurde auf dem Folkloretreffen in Kopriwschtitza 1986 mit 7 Goldmedaillen gewürdigt. Der Name kann vom bulgarischen Wort „wlatscha“, zu Deutsch ziehen, schleppen hergeleitet werden. Es ist also eine Art „Heranziehen zum Johannistag“.
In diesem Jahr wird der Brauch wegen der Corona-Seuche und den einschränkenden Maßnahmen nur im einem engen Kreis vollzogen werden. Man hält aber an der Tradition fest, denn die Dorfbewohner sind bis heute fest davon überzeugt, dass das Ritual das Böse vertreibt und Gesundheit und Glück nicht nur denjenigen, die Namenstag haben, sondern dem ganzen Dorf bringt. Die Waschung zu Johannistag solle den Jungvermählten deren Kinderwünsche erfüllen. Den heiratsfähigen Mädchen hingegen eine baldige Hochzeit in Aussicht stellen.
„Die Traditionen haben uns bewahrt und uns geholfen, den bulgarischen Geist aufrechtzuerhalten. Daher halten wir die Rituale ein, damit es unser Dorf auch künftig gibt“, meinte der Bürgermeister von Karaissen, Stefan Nikolow.
„Der Brauch ist für unser Dorf typisch und mir ist nicht bekannt, seit wann es ihn gibt. Selbst unsere Großmütter wussten es nicht und meinten nur, dass es ein sehr altes Fest ist“, sagt Bürgermeister Nikolow weiter. „Früher, als im Dorf noch über 4.500 Menschen lebten, wurde das Ritual an jedem Brunnen in den einzelnen Weilern vollführt. Es geht aber auch heute lustig zu – die Mädchen und Jungvermählten werden zum Brunnen gezogen, sie sträuben sich, da ja das Wasser kalt ist, und versuchen davonzulaufen...“
Heute leben in Karaissen rund 1.000 Menschen, so dass das Ritual „Iwanowi Wlatschugi“ nur noch am größten Brunnen des Dorfes stattfindet.
„Die ältesten Einwohner gehen frühmorgens zum Brunnen und bereiten alles zum Ritual vor“, erzählt uns Galja Litschewa, die zu den einheimischen Dorfbewohnerinnen gehört. „Es finden sich zuerst Schwiegermütter, Schwägerinnen und Frauen mittleren Alters ein und erst dann kommen die Paare, die im letzten Jahr geheiratet haben, sowie Mädchen und Burschen. Zuerst erfahren die Jungvermählten eine rituelle Waschung, wobei man sie kräftig mit dem Wasser aus dem Brunnen bespritzt. Dabei wird ihnen gewünscht, sie mögen gesund sein, viele Kinder und häusliches Glück haben. Dann sind die heiratsfähigen Mädchen und Burschen an der Reihe, denen eine baldige Eheschließung ans Herz gelegt wird. Auch sie sollen dann Kinder haben und die älteren Generationen bei der Dorfarbeit ablösen.“
In jeder Familie kommen auf die Festtafel zum Johannistag der hiesige schwere Rotwein, ein Rundbrot und verschiedene andere Speisen, wobei jede Hausfrau ihr Können unter Beweis stellt. In allen Dorfern in Bulgarien ist der Winter eine Zeit der Erholung – man sammelt auch Kräfte für die schwere Landarbeit im neuen Jahr. Die verschiedenen Bräuche sollen ihrerseits vor allem Gesundheit bescheren.
Redaktion: Darina Grigorowa
Deutsche Fassung: Wladimir Wladimirow
Fotos: pavlikeni.bg und Archiv
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