Wir leben in Zeiten von Krisen – einer gesundheitlichen, militärischen, sozioökonomischen, politischen Krise. Und während Impfstoffe, Wahlen und Finanzwissen Lösungen für unsere heutigen Probleme bieten können, gibt es eine verdeckte Krise, die immer noch auf eine Lösung wartet, nämlich die Krise in unserem Bildungssystem. Das ist ein Bereich, wo die Reformen nur langsam vorankommen und die Ergebnisse erst nach Generationen sichtbar werden.
Der jüngste Bericht der Internationalen Bildungskommission und der UNICEF, der von der globalen Initiative „Generation Unlimited“ unterstützt wird, schlägt ebenfalls Alarm wegen einer Bildungskrise. Das Dokument enthält Analysen, die die Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren in 92 Ländern der Welt unter die Lupe nehmen. Die Daten sind zwar nicht überraschend, aber sehr besorgniserregend. Fast die Hälfte der jungen Menschen im jeweiligen Alter verfügt nicht über die Grundkenntnisse, die für einen Sekundarschulabschluss erforderlich sind. Und fast drei Viertel von ihnen schaffen es weltweit nicht, die für eine adäquate Beschäftigungsfähigkeit erforderlichen Kompetenzen zu erwerben. In Bulgarien sind es 48 Prozent, während es in Spanien 30 Prozent und in Dänemark 22 Prozent sind.
„Im Unterschied zu internationalen Erhebungen wie PISA und TIMSS bezieht dieser Bericht auch Kinder ein, die außerhalb des Bildungssystems sind. In diesem Sinne sind diese Prozentsätze erschreckender als das, was wir bislang wussten“, erklärte Maria Jankowa, Programmdirektorin für Bildung bei UNICEF Bulgarien, in einem Interview für das Inlandsprogramm „Horizont“ des BNR.
Laut Eurostat-Daten für das Jahr 2021 befinden sich 14 Prozent der jungen Menschen in unserem Land außerhalb des Beschäftigungs-, Bildungs- oder Ausbildungssystems. Und aus einer Studie unseres Bildungsministeriums aus demselben Jahr geht hervor, dass 120.000 Kinder im schulpflichtigen Alter Gefahr laufen, aus dem Bildungssystem auszusteigen.
Die öffentliche Meinung, die zu schnellen Verallgemeinerungen neigt, scheint das Lese- und Lernpotenzial junger Menschen mit Zuversicht zu betrachten:
„Die Jugend liest nicht gerne Bücher. Mit dem Internet sind aber alle Arten von Informationen jederzeit verfügbar“, meinte ein Landsmann bei einer Umfrage von BNR-Blagoewgrad.
Wenn die jungen Bulgaren wirklich so digital orientiert sind, warum fallen dann die Ergebnisse des Fernunterrichts so schlecht aus?
Maria Jankowa zufolge ist es unserem Land sehr schnell gelungen, den Schülern einen digitalen Zugang zu verschaffen, aber die Qualität der Bildung lässt zu wünschen übrig. Ihrer Meinung nach hat die Schließung von Schulen aufgrund von Covid-19 einen sehr negativen Einfluss auf den Bildungsprozess gehabt.
„An erster Stelle setzt der Fernunterricht in hohem Maße Lernfähigkeiten und Fähigkeiten zum Selbststudium voraus, über die die Kinder in unserem Land leider nicht verfügen. Laut einer Analyse des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft haben sich nur etwa 30 bis 40 Prozent der Schüler in der neuen Umgebung zurechtgefunden. Die Schließung von Schulen hat die Ungleichheiten zwischen den gefährdeten Gruppen von Kindern, die keine elektronischen Geräte haben und den anderen noch mehr verstärkt“, räumte Maria Jankowa ein.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass es fast der Hälfte der Kinder im Schulalter an grundlegenden digitalen Kompetenzen mangelt, d. h. dass sie grundlegende Computertätigkeiten wie das Kopieren oder Verschieben von Informationen in ein Dokument, das Senden von E-Mails mit Anhängen und die Übertragung von Dateien zwischen Geräten nicht verstehen und durchführen können.
Während Jugendliche im Schulalter Schwierigkeiten haben, bestimmte Fertigkeiten zu erlernen, gibt es bei den älteren Jugendlichen Engpässe in Bezug auf die Beschäftigungskompetenzen. Sie sind am stärksten von der Pandemie betroffen, da sie arbeitslos sind und mehr befristete als unbefristete Verträge abgeschlossen haben, erklärte Maria Jankowa.
Was ist die Lösung?
„Um Ergebnisse in der Bildung zu erzielen, sind Zeit und viel Ausdauer erforderlich. Es ist sehr wichtig, von theoretischem Wissen zu praktischen Fähigkeiten überzugehen, die real für das Wachstum einer Gesellschaft erforderlich sind. Leider gibt es in Bulgarien einen Widerstand gegen die Aktualisierung der Lehrpläne. Andererseits werden bestimmte Fächer wie die bulgarische Sprache, Mathematik und Geschichte auf Kosten von Sport, Musik und bildender Kunst priorisiert. Während alle anderen europäischen Länder darüber diskutiert haben, welche Maßnahmen sie während der Pandemie ergreifen sollten, haben wir den Unterricht in genau diesen Fächern noch zusätzlich verstärkt. Das hat sowohl bei den Kindern als auch bei den Lehrern zu Ermüdung geführt, ohne das irgendwelche Erfolge erzielt worden sind. Unsere Kollegen in Belgien, Deutschland und Finnland hingegen haben beispielsweise zusätzlichen Unterricht in Musik und Sport eingeführt. Immer mehr Länder auf der ganzen Welt setzen Strategien um, damit sich Kinder in der Schule wohlfühlen und gerne und nicht aus Verpflichtung lernen“, so Maria Jankowa abschließend.
An dieser Stelle ist es vielleicht gut zu erwähnen, dass das Ministerium für Bildung und Wissenschaft ein nationales Programm „Gemeinsam in Kunst und Sport“ mit einer Finanzierung von 90 Millionen Lewa verabschiedet hat, das im neuen Schuljahr umgesetzt werden soll. Ein guter Start für den langen Weg, der noch vor uns liegt.
Autor: Wessela Krastewa
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Foto: BGNES, UNICEF, BNR - Vidin, archiv
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