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Kampagne #dubistnichtallein ruft Opfer häuslicher Gewalt auf, Hilfe zu suchen

Jede dritte Frau in Bulgarien ist irgendeiner Form von Gewalt ausgesetzt

Foto: stolica.bg

Fünf Schauspielerinnen mit blutverschmierten und verzerrten Gesichtern schreien im Zentrum der Hauptstadt um Hilfe. Indem sie in die Rolle von Gewaltopfern schlüpfen, starten sie die Kampagne #dubistnichtallein gegen häusliche Gewalt аn Frauen. Poster mit ihren Nahaufnahmen und kurzen Botschaften werden im Herzen Sofias aufgestellt, um absolut jeden von uns zu erreichen. Denn auch der indirekte Zeuge von Gewalt ist genauso verantwortlich wie der Täter und kann durch sein Handeln Leben retten.

Nichtregierungsorganisationen zufolge ist in Bulgarien jede dritte Frau von häuslicher Gewalt betroffen, sei es körperliche, psychische oder emotionale Gewalt. Das bedeutet, dass etwa 1,25 Millionen bulgarische Frauen Opfer von Gewalt sind.

Es stellt sich heraus, dass Bulgarien das einzige Land in der Europäischen Union ist, das keine offiziellen Statistiken über die Opfer häuslicher Gewalt führt. Gleichzeitig vertieft sich das Phänomen sowohl in unserem Land als auch weltweit. Das Problem bleibt jedoch oft ungehört, missverstanden, innerhalb in der Familie verschlossen. Daher zielt die proaktive Kampagne #dubistnichtallein nicht nur darauf ab, die Opfer dazu zu bringen, Hilfe zu suchen, sondern sie soll auch die Gesellschaft in dieses vielschichtige Problem einbeziehen, so die Organisatoren.

„Es ist sehr schwierig, Einblick in seine Seele zu geben, zumal die meisten Opfer entweder nicht wissen, dass sie Opfer eines Gewalttäters sind oder diesen Umstand aus Scham, Angst und wegen dem riesigen Mangel an Verständnis von den Mitmenschen verbergen“,  sagt Antonia Dontschewa-Donja. Die Maskenbildnerin brachte das Stigma der Gewalt hinter verschlossenen Türen auf die Gesichter der Schauspielerinnen Biljana Georgiewa, Daria Simeonowa, Dessislaea Bakardschiewa, Joana Bukowska-Dawidowa und Silvia Petkowa.

Silwia Petkowa

„Ein großer Teil unserer Gesellschaft ist der Meinung, dass das Opfer selber schuld ist und die Gewalt provoziert hat“, fügt sie hinzu. „Die gleiche Argumentation wird auf andere Opfer von Gewaltbeziehungen angewandt, auch auf Männer. Wir sagen: 'Na ja, er lässt sich das von ihr gefallen.' Aber das Problem ist sehr ernst und solange wir nicht begreifen, dass selbst ein einziger Fall von Gewalt einer zu viel ist, werden sich die Dinge nicht ändern.

In vielen Fällen bleiben die Menschen, die die Gewalt bei den Nachbarn durch Schreie und Weinen mitbekommen, gleichgültig.

„Eines unserer Ziele ist es, Empathie in der Gesellschaft zu wecken“, fährt Antonia Dontschewa fort. „Die Menschen müssen verstehen, dass sie zu Komplizen des Täters werden, wenn sie Zeugen von Gewalt werden und nichts dagegen unternehmen. Wenn man eine Frau, einen Mann oder ein Kind hinter einer verschlossenen Tür schreien hört, ist es sehr einfach, an der Tür zu klingeln oder den Notruf 112 zu wählen. Denn das kann Leben retten und etwas äußerst Bedeutsames und Wichtiges in unserem geregelten Leben sein.“

Die Bürokratie und die Art und Weise, wie die Menschen am anderen Ende der Telefonleitung auf den Anruf des Opfers reagieren, führen oft zu noch mehr Unsicherheit und Angst.

„Stellen Sie sich den enormen Mut vor, den eine Frau oder ein Kind in Lebensgefahr aufbringen muss, um den Notruf 112 anzurufen“, so Antonia Dontschewa. „Auf der anderen Seite beginnt ein Verhör – wie ist Ihr Name, Ihre Adresse, sind Sie sich sicher, was Sie sagen. Es wird viel Zeit verschwendet und genau hier liegt das nächste Problem, denn wenn der Polizist zur Adresse kommt, wähnt sich das Opfer in Sicherheit, weil es den Notruf angerufen hat. Das schützt die Betroffenen jedoch nicht, wenn sie anschließend nicht Anzeige bei der Polizei erstatten. Niemand informiert die Opfer darüber, dass sie nicht nur die 112 anrufen, sondern sich auch an die nächstgelegene Polizeidienststelle wenden müssen.

Einen Funken Hoffnung, Zuversicht und Entschlossenheit - all das können die Opfer aus den positiven Botschaften auf den Postern im Zentrum Sofias schöpfen. Wenn sie sie lesen und sich in den entstellten Gesichtern wiedererkennen, wird ihnen vielleicht klar:

„Man darf keine Angst haben zu fliehen, weitaus schlimmer ist es zu bleiben, und das Leben draußen ist herrlich!“

Text: Diana Zankowa, nach einem Interview von Silvia Welikowa vom BNR-Inlandsprogramm „Horizont“

Übersetzung: Rossiza Radulowa

Fotos: stolica.bg


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