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Die Rentenreform – ein Schritt nach vorn oder zurück?

Foto: BGNES
Seit einigen Jahren fragen sich viele Bulgaren im Vorrentenalter, wann sie nun genau in Rente gehen. In Bulgarien vor der Rente zu stehen, zählt nicht zu den angenehmsten Dingen des Lebens. Vor allem, weil die ständigen Veränderungen im Rentensystem keine langfristige Planung erlauben, d.h. man nicht weiß, wann man denn nun den verdienten Ruhestand antreten darf. Allerdings ist in Anbetracht der geringen Renten der Ruhestand für die meisten Rentenanwärter wohl auch nicht der langersehnte Traum. Die Gesetze des Lebens sind leider unerbittlich.

Für die jüngsten Stolpersteine sorgte die Regierung von Plamen Orescharski, die nun drauf und dran ist, einen Teil der von der Vorgängerregierung auf den Weg gebrachten Änderungen auf Eis zu legen. Begründet wurde dieses Vorhaben mit den Argumenten, dass man auf diese Weise der hohen Arbeitslosigkeit begegnen könne - die 2012 bei 13 Prozent lag - dass auf diese Weise die Renten langfristig steigen würden als auch, dass so das Defizit in der staatlichen Rentenkasse schneller abgebaut werden könnte. Seit vielen Jahren wird dieses Defizit aus dem Staatshaushalt ausgeglichen. Übrigens machen die Renten knapp 87 Prozent aller Etatkosten der Staatlichen Versicherungsanstalt aus. Ende vergangenen Jahres waren rund 2,2 Millionen der insgesamt 7,5 Millionen Bürger des Landes Rentner. Die Durchschnittsrente in Bulgarien liegt bei umgerechnet 136 Euro.

Ende 2011 setzte die GERB-Regierung die Empfehlungen der Europäischen Kommission um. Das Parlament stimmte der drastischen Aufstockung von Renteneintrittsalter und Beitragsjahren im Schnellverfahren zu. "Man wird länger arbeiten müssen, dafür aber auch mehr Rente bekommen", waren die Argumente der Regierung. Von dieser Maßnahme versprach man sich einen rascheren Abbau des Riesen-Defizits im Versicherungssystem. Laut Novellen sollten die Beitragsjahre in der dritten Kategorie, der die meisten Bulgaren zugerechnet werden, ab 2012 alljährlich um 4 Monate aufgestockt werden und zwar bis 2021. Dann sollte das Endziel von 37 Beitragsjahren für Frauen und 40 Beitragsjahren für Männer erreicht sein. Ebenfalls jährlich um vier Monate aufgestockt werden sollte das Renteneintrittsalter und zwar auf 63 Jahre für Frauen und 65 Jahre für Männer. Die Aufstockung betraf auch die Schwerstarbeiter der ersten und zweiten Kategorie.

Heute zeigt sich, dass die Staatliche Versicherungsanstalt im Zuge der schnellen und ohne öffentliche Debatten auf den Weg gebrachten Novellen gerade einmal 18 Millionen Euro eingespart hat und zwar aus der aufgeschobenen Pensionierung von 20.000 Bürgern. Und - im Haushalt der Staatlichen Versicherungsanstalt klafft nach wie vor ein tiefes Loch.

Nun behauptet die Regierung von Plamen Orescharski, dass Renteneintrittsalter und Beitragsjahre in den letzten 13 Jahren disproportional aufgestockt worden seien, was für eine Generation eine zu große Last sei. Ihrer Ansicht nach, sei eine stufenweise Aufstockung des Renteneintrittsalters vor dem Hintergrund der ausgesprochen schweren demografischen Krise in Bulgarien unvermeidlich. Die Aufstockung müsse jedoch an die Lebenserwartung gebunden werden, womit das Problem künftig gelöst sei.

Hier die Vorschläge der Regierung. Variante 1 - 2014 lediglich die Aufstockung des Renteneintrittsalters einzufrieren. Variante 2 - 2014 sowohl Renteneintrittsalter als auch Beitragsjahre auf Eis zu legen. Man suche nach einer öffentlich annehmbaren und finanziell tragbaren Variante, erklärte Sozialminister Hasan Ademow. "Der Vorschlag über das zeitweilige Einfrieren beider Parameter im nächsten Jahr würde für knapp 14.000 Personen den Eintritt in den Ruhestand bedeuten", verwies Minister Ademow weiter. Auch der geplante Wegfall der Rentenobergrenze ist heiß umstritten. Höchstrente oder Rentenobergrenze bedeutet im Fall Bulgarien - die höchstmögliche Rente, die einem Rentner zusteht, unabhängig davon, wie viel er in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat.

Wie würde sich das auf den Haushalt der Staatlichen Versicherungsanstalt auswirken? Hier stellt sich die Frage, ob der Wegfall der Rentenobergrenze nur die Neurentner betreffen würde oder auch all jene, die Jahre lang den gesetzlichen Höchstbeitrag eingezahlt haben? Es sieht ganz danach aus, als ob man sich auf eine Anhebung des beitragspflichtigen Monatseinkommens auf umgerechnet 1.200 Euro einigen würde, was eine Anhebung der Maximalrente auf umgerechnet 420 Euro anstatt der bisherigen 385 Euro zur Folge hätte. Die Abschaffung der Rentenobergrenze steht derzeit nicht zur Debatte. Unter diesen Umständen würden über 15.000 Rentner ihre reellen Renten beziehen. Die 35.000 Rentner jedoch, die jahrelang Maximalbeiträge in die Rentenkasse entrichtet haben, müssen sich auch künftig damit zufrieden geben, dass sie aufgrund der Rentenobergrenze weniger bekommen, als sie eingezahlt haben.

Diese Vorschläge werden natürlich nicht von allen befürwortet. Im Studio des Fernsehsenders bTV vermerkte Prof. Hristina Wutschewa, in den 1990-ern Vizefinanzministerin in der Übergangsregierung von Reneta Indschowa, jahrelang sei es nur um Kostenkürzung und Defizitabbau im Versicherungssystem gegangen. Jetzt hätten sich die Dinge gewandelt. Heute redet die Regierung über eine Anhebung der Defizitquote. Die Änderungen zur Einfrierung des Renteneintrittsalters bezeichnete Wutschewa als äußerst unrationell, da auf diese Weise der Finanzrahmen der Versicherungsanstalt gesprengt werden könnte.

Die Einfrierung des Renteneinstiegsalters im kommenden Jahr mit dem Abbau der Jugendarbeitslosigkeit zu begründen, sei inakzeptabel und werde keine spürbaren Ergebnisse bringen, so der Kommentar anderer Experten. Diese Argumente seien vor allem mit den Wahlversprechen der Sozialisten verbunden. Übrigens will der Dachverband der unabhängigen Gewerkschaften KNSB im kommenden Jahr die Anhebung des maximalen beitragspflichtigen Monatseinkommens auf umgerechnet 1.250 Euro sowie die Anhebung der Beitragssätze der Arbeitnehmer um ein Prozent einfordern. Ob die geplanten Änderungen etwas bringen, wird sich in einem Jahr zeigen.

Übersetzung und Redaktion: Christine Christov
По публикацията работи: Milka Dimitrowa


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