Die Nachrichten aus der Ukraine überfluten die Medien. Die Schlagzeilen eskalieren die ohnehin angespannte Lage auf der Krim. Und sie eskalierten auch die ohnehin angespannte politische Lage in Bulgarien. Jedes Thema, sei auch ein drohender Bürgerkrieg nur 500 km von der bulgarischen Schwarzmeerküste entfernt, wird hier zur politischen Kontroverse am Vorabend der Europawahlen missbraucht. Die Krim-Krise macht auch keine Ausnahme.
Unmittelbar vor dem EU-Sondergipfel sollten die Regierung und die Sicherheitsexperten des Landes auf einer Dringlichkeitssitzung beim Ministerpräsidenten Orescharski die bulgarische Haltung zur Krise in der Ukraine festlegen. Dazu kam es nicht. Erwartungsgemäß wartete Bulgarien den Gipfel ab, um sich festzulegen. Und damit die Sitzung nicht ganz ohne Ergebnis beendet wird, übernahm Innenminister Jowtschew die Regie in einem Krisenstab, um die Lage zu "beobachten", die Risiken zu "prüfen" und überhaupt eine Besorgnis zu markieren. Dies schien dem Präsidenten und Oberbefehlshaber zu wenig und der bürgerlichnahe Plewneliew erklärte prompt, der Sicherheitsrat solle tagen. Wann, sagte er nicht. Ist auch erst zweitrangig – zunächst war es wichtig, der sozialistengeführten Regierung eine auszuwischen.
Und auch aus den Reihen der parlamentarischen Opposition kam Kritik für die Zurückhaltung der Regierung. Und der außerparlamentarische Reformblock sprach das aus, was alle Regierungsgegner in Bulgarien denken – Sofia hat sich mit der Reaktion auf die Krise in der Ukraine und auf der Krim verspätet. Dort ging man sogar weiter mit dem Ängsteschüren – die Gaslieferungen für Bulgarien seien gefährdet, es zeichne sich eine Gaskrise ab, wie Anfang 2009. Solche Ängste zu schüren, ist selten produktiv. Die einzige Ausnahme wäre, wenn die Opposition dadurch erwirkt, dass die Erdgasverträge Bulgariens mit Russland endlich völlig offen gelegt werden.
Neben der Kritik aus der Opposition fielen Schüsse auch aus den eigenen Reihen – die nationalistische EU-feindliche Ataka-Partei, der die Sozialistenregierung ihre Mehrheit im Parlament verdankt, erklärte sich offen gegen jegliche Sanktionen gegen Russland und forderte die "absolute Neutralität" Bulgariens in der ukrainischen Krise. Das Parlament in Sofia sollte die neue Regierung in Kiew für nicht legitim erklären und Janukowitschs Sturz als "Putsch" bezeichnen. Damit aber nicht genug – "friendly fire" kam auch aus den Reihen des Juniorpartners in der Regierung – die Türkenpartei DPS bezeichnete die Visite des bulgarischen Außenministers Christian Wigenin in Kiew als eine "Soloaktion". Selbst sozialistische Abgeordnete kritisierten die Gespräche des Chefdiplomaten mit den neuen ukrainischen Machthabern. In Kiew ließ Wigenin den neuen ukrainischen Präsidenten Turtschinow wissen, Bulgarien unterstütze die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine. Sprich: Bulgarien verurteilt die russische Invasion auf der Krim. Für die Türkenpartei sei die Arbeitsvisite des Außenamtschefs zu voreilig gewesen. Und trage dem Umstand keine Rechnung, dass Russland eine Monopolstellung auf dem Energiemarkt habe. "Danach haben wir uns zu richten", erklärte der DPS-Abgeordnete Jankow.
In all den lokalen Auseinandersetzungen fiel bisher kein einziges Wort darüber, dass Bulgarien Mitglied der Europäischen Union und der NATO ist. Wie so oft reduziert man diese Mitgliedschaft auf finanzielle und politische Unterstützung aus Brüssel nach Sofia, als wäre es eine Einbahnstraße. Gern wird in Sofia vergessen, dass die Mitgliedschaft in der EU und NATO auch geteilte Werte, Politiken und Verantwortung bedeutet. Gern und oft wird vergessen, dass Russland gegen den Beitritt Bulgariens zur EU und NATO war. Und schließlich gern wird die Emanzipation vom "großen Bruder" in Moskau auf die lange Bank geschoben. Spätestens seit 2007 gehen Bulgarien und Russland getrennte politische Wege. Die emotionale Nabelschnur zu Russland wird in Bulgarien vermutlich immer bestehen – selbst im Zweiten Weltkrieg lautete das außenpolitische Kredo vom Achsenmächte-Verbündeten Bulgarien „Immer mit Deutschland, nie gegen Russland“. Klar – diese emotionale Nabelschnur beruht auf historische und kulturelle Fundamente. Sie darf aber nicht in (energie)wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten ausarten.
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