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Karadere – ein Déja-vu-Erlebnis

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Foto: Maria Dimitrowa-Pichot

Es ist ein sonniger Nachmittag. Beim Ariana-See in der Nähe einer wichtigen Kreuzung in der bulgarischen Hauptstadt Sofia treffen junge Menschen zusammen. Einige kommen mit dem Fahrrad, andere mit ihren Hunden oder Kindern. Sie kommen gegen die Bebauung von einem der wenigen übrig gebliebenen unberührten bulgarischen Küstenstreifen zu protestieren. Gleichzeitig findet anderswo ein Gegenprotest mit dem Wunsch, dass das Bauvorhaben verwirklicht wird, mit der Hoffnung, dass sie dabei endlich Arbeit finden könnten. Eine Vereinigung von Bauunternehmern und Landeigentümern wettert gegen die „grüne Krake“, die die bulgarische Schwarzmeerküste „annektieren“ wolle. Es ist ein bekanntes Bild und wie oft werden wir es noch sehen müssen?

Das Déja-vu-Erlebnis zeugt wohl davon, dass in unserem Staat etwas nicht stimmt. Wieso müssen die Umweltschützer vor gesetzwidrigen Entscheidungen zum Bau in Naturschutzgebieten oder Bauarbeiten ohne Genehmigung ständig auf der Hut sein? Ist das nicht die Aufgabe der entsprechenden Behörden und Ministerien? Der Karadere-Fall zeugt vom Gegenteil. Vor einer Woche wurde auf höchster, nämlich auf Regierungsebene der Bau eines großen Urlaubskomplexes neben einem unberührten Strand genehmigt, der  in zwei Schutzgebiete des Natura-2000-Netzes eingreift. Falls die Gemeinschaft der Umweltschützer diesen kleinen Eintrag im Stenogramm der Regierungssitzung übersehen hätten, würde das Bauvorhaben im Stillen weitergehen.

Die Minister begannen nach dem blitzschnellen Protest der Umweltschützer einer nach dem anderen zu erklären, dass es sich nur um das erste „grüne Licht“ für das Projekt handele. Auf Karadere würde man nichts ohne die entsprechende Einschätzung der Einwirkung auf die Umwelt bauen. Ist ihnen zu glauben? Der Wirtschafts- und Energieminister Dragomir Stojnew erklärte, dass der Bau genau am 3. September d. J. beginnen werde. Die Fachleute erklären aber, dass allein für die Einschätzung der Umweltfolgen 6 Monate erforderlich sind. Und ein ausführliches Projekt sei gar nicht vorgelegt worden. Es gibt auch keine Klarheit über die Investoren aus Offshore-Zonen. Das ist aber ein anderes großes Thema.

Die Jungfräulichkeit des Karadere-Strandes wurde bis vor kurzem bildlich gesprochen mit Waffen verteidigt. Bis vor zwei Jahrzehnten war er militärisches Übungsgelände. Das privatisierte Land wurde schnell von Bauunternehmern aufgekauft, die nun ihre Gewinne einfahren wollen. Seit 2007 gibt es die Idee, dort einen großen Urlaubskomplex zu bauen. Der ursprüngliche Entwurf von einem Team des bekannten britischen Architekten Norman Foster sah den Bau von zahlreichen Hotelkomplexen und über 7.000 Wohnungen auf einer Fläche von 120 ha vor. Der Entwurf war viel naturgerechter als andere Urlaubszentren an unserer Küste und entsprach einigermaßen seinem Namen „Schwarzmeer-Gärten“. Aber er greift in das Naturschutznetz „Natura 2000“ ein, wo solche Bautätigkeit nicht erlaubt ist. Die damaligen Proteste und die Wirtschaftskrise, die sich stark auf die Baubranche auswirkte, verhinderten die Verwirklichung des Projektes.

Seine heutige Neuauflage ist stark reduziert – nur 25 ha Fläche, nur drei Hotelkomplexe und 1200 Wohnungen. Aber auch dieses Projekt greift in zwei geschützte Zonen von „Natura 2000“ ein und es liegt keine Einschätzung seiner Auswirkung auf die Lebensräume von geschützten Vogelarten vor. Aber die Proteste von Menschen in mehreren Städten wurden vor allem durch die Tatsache provoziert, dass Karadere einer der wenigen unberührten Strände ist, die an den Fingern einer Hand abgezählt werden können. Der Versuch, sie zu vernichten, stößt auf immer stärkeren Widerstand. Haben denn die Freunde des Camping in freier Natur nicht Rechte wie diejenigen, die in Hotels Urlaub machen? Ist es nicht die Aufgabe des Staates, dem die Küste gehört, jedermann die Möglichkeit zu garantieren, den Anblick der Meereslandschaft zu genießen, ohne sie zwischen zwei Hotels suchen zu müssen?

Die Campings bringen natürlich keinen schnellen Gewinn, wie der Hotelbau, aber auch für die Freunde des Campings sollte vom Staat die notwendige Infrastruktur geschaffen werden. Die Einrichtung einer geschützten Zone, die die gesamte Schwarzmeerküste umfasst, würde zur Lösung des Problems beitragen, meint die Koalition „Damit die Natur in Bulgarien erhalten bleibt“. Die jetzt die Regierung stützende Bulgarische sozialistische Partei trat, als sie in der Opposition war, begeistert für diese Idee ein. Jetzt scheint sie nicht mehr daran Gefallen zu finden.

Übersetzung: Vladimir Daskalov



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