Sendung auf Deutsch
Textgröße
Bulgarischer Nationaler Rundfunk © 2024 Alle Rechte vorbehalten

Bulgarien vor Neuwahlen – viele Fragen, wenige Antworten

БНР Новини
Nachdem die DPS ihre Unterstützung für die Koalitionsregierung entzogen hat, sprach sich auch Sozialistenchef Stanischew für den sofortigen Rücktritt des Kabinetts aus.
Foto: BGNES

Seit einigen Tagen überschlagen sich die Ereignisse im politischen Leben Bulgariens. Spätestens seit vergangenem Donnerstag steckt das Land in einer Regierungskrise. Knapp zwei Wochen nach den Europawahlen hat der liberale Juniorpartner in der Regierung, die Türkenpartei DPS, ihre Unterstützung für die Koalitionsregierung mit den Sozialisten entzogen. Sozialistenchef Sergej Stanischew gab gestern zu, dieser Schachzug des Koalitionspartners habe ihn „unangenehm überrascht“. Aber auch Stanischew überraschte mit seiner Reaktion auf das politische Geschehen – auf der gestrigen achtstündigen Vorstandssitzung der sozialistischen Partei sprach er sich für den sofortigen Rücktritt der Regierung aus. Damit erwischte Stanischew selbst seine eigene Partei kalt – bis dahin hieß es aus der Parteizentrale der Sozialisten, man solle mit den Neuwahlen abwarten, denn die Regierung habe ihr Potential noch nicht ausgeschöpft und im Parlament warten wichtige Gesetzentwürfe.

Stanischew strebte Beratungen mit den führenden Parteien, doch Präsident Plewneliew reagierte blitzschnell und rief gestern den konsultativen Sicherheitsrat zusammen. Am kommenden Dienstag sollen sich die Parlamentsparteien nicht nur auf einen vernünftigen Wahltermin einigen, sondern auch über die Nominierung des bulgarischen EU-Kommissars und über so wichtige Themen, wie die vorerst gestoppte Erdgasleitung South Stream und die auf Eis gelegte EU-Finanzierung.

Die Tradition, das Wahlgesetz unmittelbar vor Wahlen zu ändern, wird wohl auch diesmal eingehalten. Die bürgerliche Opposition besteht darauf, dass parallel zum Parlamentsvotum auch ein Referendum über die Einführung der Wahlpflicht durchgeführt wird. Diese Idee hatte der bürgerliche Präsident Plewneliew bereits im Februar formuliert. Die Sozialisten haben sie allerdings verworfen. Nach der offiziellen Scheidung der Regierungspartner hat aber Sozialistenchef Stanischew überraschend verkündet, seine Partei sei nun doch für die Wahlpflicht. Der Gedanke dahinter ist, dass eine höhere Wahlbeteiligung einerseits die Bedeutung des seit Jahren verbreiteten Stimmenkaufs deutlich mindern wird, und andererseits die Unterstützung für die Türkenpartei DPS nicht so stark ins Gewicht fallen wird, denn die liberale Partei hat das Limit an Stimmen aus ihrer Stammwählerschaft längst erreicht.

Angesichts dieser dynamischen Entwicklungen der letzten Tage fällt auf, dass sich der Ministerpräsident ins Schweigen gehüllt hat. Plamen Orescharski wird spätestens am Freitag ins Rampenlicht treten müssen – er wird mit Sicherheit im Parlament über das Pipeline-Projekt South Stream berichten müssen. Ob er aber vorher oder nachher den Rücktritt seiner Regierung bekannt geben wird, ist noch unklar. Klar ist, dass die Fragen weitaus mehr sind, als die Antworten.

Übersetzung und Redaktion: Vessela Vladkova



Последвайте ни и в Google News Showcase, за да научите най-важното от деня!

mehr aus dieser Rubrik…

Der Wahlkampf zu den Europawahlen in Bulgarien im Schatten einer weiteren vorgezogenen Parlamentswahl

Bulgarien wählt am Sonntag, den 9. Juni, das 50. Parlament des Landes. Es sind die sechsten vorgezogenen Parlamentswahlen innerhalb von zweieinhalb Jahren. Dieses Mal fallen sie mit der Wahl des neuen Europäischen Parlaments zusammen, für das Bulgarien..

veröffentlicht am 06.06.24 um 12:10

Blickpunkt Balkan

Griechenland identifiziert 83 Jahre später 18 NS-Opfer Achtzehn Zivilisten, die während des Zweiten Weltkriegs auf der griechischen Insel Kreta hingerichtet wurden, konnten 83 Jahre später durch DNA-Analysen im Labor für Paläogenomik und..

veröffentlicht am 31.05.24 um 12:48
Erzbischof Stefan

Blickpunkt Balkan

Die mazedonisch-orthodoxe Kirche steckt im Streit um den Namen Mazedonien und die Erzdiözese Ochrid fest Die mazedonisch-orthodoxe Kirche hat sich in den Streit um den Namen „Mazedonien“ eingeschaltet. Das Oberhaupt der Kirche, Erzbischof Stefan,..

veröffentlicht am 23.05.24 um 13:22