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Schreibe die Geschichte der Flüsse zu Ende

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Foto: wikipedia.org

"Schreibe die Geschichte der Flüsse zu Ende" ist das Motto einer gestern gestarteten Kampagne, die über die dringendsten Probleme unserer Flüsse alarmieren und Lösungen anbieten soll. Initiator der Kampagne ist die Internationale Naturschutzorganisation WWF. Auch wollen die Naturschützer die Bulgaren zu mehr Engagement und Null-Toleranz gegenüber der Vernichtung dieses Naturreichtums herausfordern.

"Den Leuten fallen vor allem die verschmutzten Flüsse auf. Aber es gibt auch zahlreiche andere Problembereiche mit unumkehrbaren Folgen. Wir können die Flüsse reinigen und ihren chemischen Zustand verbessern, werden in diesem Moment jedoch vermutlich ihre Artenvielfalt einbüßen. Deshalb sind dringende Maßnahmen erforderlich!", alarmiert Ljubomir Kostadinow, Experte des WWF-Gewässerprogramms. Gestartet wurde die Kampagne mit einer Petition an die staatlichen Behörden zum Schutz der Gewässer. Unterstützen kann man sie unter http://www.wwf.bg/get_involved/rivers/petition/.

"Mit dieser Petition wollen wir möglichst viele Menschen für diese Probleme sensibilisieren und die Behörden zu mehr Aktivität veranlassen", erklärt Ljubomir Kostadinow. "Derzeit werden die Pläne für das Hochwasser-Risikomanagement erarbeitet sowie die Managementpläne für die Flussbecken aktualisiert. Der Zeitpunkt dafür wurde ganz bewusst gewählt. Damit will man den Gewässerdirektionen des zuständigen Ministeriums Instrumente in die Hand geben, um einer weiteren Vernichtung der Flüsse entgegenzuwirken. Der Fluss ist nicht nur ein Fließgewässer. Er ist ein kompliziertes Ökosystem, das über viele Kilometer zusammenhängend funktioniert. Er ist ein Bio-Korridor, in welchem Informationen, Organismen, Sedimente ausgetauscht werden. Auch in den Flussterrassen, wo ebenfalls alles zusammenhängend funktioniert, laufen sehr interessante Prozesse ab, weswegen hier ein sehr komplexes Management gefragt ist."

Was passiert mit den Flüssen bei uns und welche sind die größten Probleme?

"In Europa wurden längst flächendeckend Kläranlagen gebaut. Die Menschen sind sich der Bedeutung sauberer Flüsse bewusst", erklärt der Experte weiter. "Aufgrund anthropogener Einflüsse sind dort jedoch die meisten Flusskörper modifiziert. In den 50er und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden in Bulgarien massenhaft Deiche errichtet, Flussbetten korrigiert und begradigt. Mancherorts zu Recht, an anderen Stellen einfach nur, um die landwirtschaftlichen Nutzflächen zu erweitern. Leider hält dieser Trend bis heute an. Jeder Eingriff in die Gewässerlandschaft hat fatale Folgen für die Artenpopulationen. Ein großes Problem ist der Minimalabfluss nach dem Eingriff in den Flussverlauf. Häufig ist Austrocknung die Folge, was zudem fatal für alles Leben ist. Das passiert leider im Oberlauf vieler bulgarischer Flüsse, infolgedessen wir Arten wie beispielsweise die Balkan-Forelle verlieren."

"Ein weiteres Problem der letzten Jahre ist die Gewinnung von Sand und Kies aus Flüssen. Der Bauboom hat zu einer verstärkten Nachfrage geführt, wovon viele Flüsse betroffen sind. Auch beeinträchtigt der sinkende Grundwasserspiegel die Bewässerung der Agrarflächen - ein Problem, das nur von der Bevölkerung vor Ort wahrgenommen wird. Die Baustoffgewinnung führt zu einer Eintrübung des Flusses. Das wiederum unterbricht den Artenkorridor und führt erneut zu einem Populationsrückgang. Weitere aktuelle Probleme betreffen die Bewirtschaftung der Uferflora. In Bulgarien gibt es in der Praxis keine gut erhaltenen Auwälder. Die Schlupflöcher im Gesetz", so Ljubomir Kostadinow, "werden häufig missbraucht, in dem man der Bevölkerung erzählt, das Abholzen der Bäume diene dem Hochwasserschutz. Dabei werden vor allem die großen Altbäume gerodet, die das Ufer vor Erosion schützen und sehr wichtige Funktionen inne haben. Der wahre Grund für den Kahlschlag ist das Holz, die Sträucher dagegen lässt man einfach im Flussbett stehen, obwohl auch diese ein Hochwasserrisiko darstellen."

Im Frühjahr und Sommer ist fast keine Region Bulgariens vom Hochwasser verschont geblieben. Sind die Wetterkapriolen an den fatalen Folgen schuld oder ist es der verantwortungslose Eingriff des Menschen in Natur?

"Tendenziell ist die Infrastruktur veraltet, nicht dem Standard entsprechende Deiche und Brücken tragen häufig das ihrige zum Hochwasser bei", meint Ljubomir Kostadinow. "Auch die häufige Reinigung von Flussbetten ist kein Hochwasserschutz, da das Problem dadurch an eine andere Stelle gespült wird. Der Eingriff des Menschen hat Folgen. Vor allem für diejenigen, die nah am Fluss bauen. D.h. hier  ist der Mensch für den ganzen Ärger selbst verantwortlich. Offensichtlich müssen wir uns dieser neuen Realität stellen. Mit den Hochwassern, die bisher nur alle 50 Jahre auftraten, muss man heute in einem kürzeren Zeitraum - vielleicht von 20 Jahren rechnen. Das Wetter können wir nicht managen, das Risiko schon."

Übersetzung: Christine Christov



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