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Der Weise, der den Himmel für einen langweiligen Ort hielt

Schriftsteller Jordan Raditschkow wäre heute 85 geworden

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Foto: Archiv

Im Januar dieses Jahres hat sich in Bulgarien kaum jemand daran erinnert, dass zehn Jahre seit jenem Tag verstrichen sind, an dem die Seele des Schriftstellers und Weisen Jordan Raditschkow in den Himmel fuhr – den Ort, den er bei Lebzeiten als „sicher schrecklich langweilig“* bezeichnete. Heute haben sich jedoch viele seiner besinnt, denn am 24. Oktober wäre er 85 Jahre alt geworden, wenn er noch unter uns weilen würde. Seine treuesten Leser wollen es nicht wahr haben, dass er nicht mehr unter den Lebenden ist und haben aus Gewohnheit den heutigen Morgen mit Freude begrüßt, an dem Raditschkow einst das Licht der Welt erblickt hat - entgegen aller christlichen Traditionen, dass man eines Toten nicht an seinem Geburtstag, sondern an seinem Sterbetag gedenkt.

Glücklich sind jene, die ihn zu Lebzeiten kannten. Seine Bücher wurden selbst in ausgefallenen Sprachen übersetzt und umkreisen die Welt gleich seiner „Spatzen“ – ein unendlicher Flug, der seinen Anfang in seinem Geburtsort – das Dorf Kalimantzi in Nordwestbulgarien nahm, über Paris nach Prag und von dort bis in die Weiten Sibiriens führte, um dann von Peking über Stockholm zurück in der Sofioter Hochebene zu enden. Die Literaturkritiker unternehmen weiterhin hartnäckige Versuche, die Gleichnisse von Jordan Raditschkow zu enträtseln und den Schlüssel zu seiner unvorstellbaren Phantasie zu finden; sie sprechen von phantastischem Urquell und von Magie – er zog die Menschen aber nicht nur als Erzähler in seinen Bann, sondern war auch ein überaus interessanter Gesprächspartner. Die Interviews mit ihm zeugen von der Macht seiner Worte, unabhängig davon, ob man sie liest, oder hört...

Wie kommt es, dass uns so eine Vereinsamung überkommen hat?

Die Verlassenheit ist in uns. Sie hat uns nicht überkommen - sie ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist in uns drin und schwillt manchmal von alleine an und mehrt sich so.

Gibt es ein Mittel dagegen und sollte man es nicht unter jenen Gleichgesinnten suchen, denen wir den Rücken gekehrt haben?

Ein Mittel gegen die Vereinsamung gibt es natürlich. Der Mensch darf einfach nicht allein bleiben und muss seinesgleichen suchen – alle Menschen sind doch Brüder und Schwestern!
Gleich sind wir vor dem Einen, vor dem Licht, doch im Kampf um das täglich Brot bleibt der Bulgare offenbar auf sich allein gestellt und das nicht nur allein mit sich selbst, denn würde er auf die Stimme seiner Seele hören, könnte er etwas lernen.
Ich muss ihnen sagen, es ist schlecht, wenn ein Mensch ganz allein um etwas kämpft. Wenn sie beispielsweise versuchen, allein ein Kalb zu ergattern, was wollen sie dann mit ihm anstellen? Werden sie es ganz allein aufessen? Sie schaffen es nicht, nicht wahr!?...“

Die simplen Beispiele, die Raditschkow gab, sind ganz im Stil der Volksweißheiten. Er wollte so von möglichst vielen Menschen verstanden werden – Menschen, die nach Licht suchen. Er meinte, wer nicht die Kraft der Natur erkenne, werde wohl kaum ihre Kunst zu schätzen wissen:

„Die Kunst war schon immer ein Zankapfel im Kampf mit der Natur, weil sie die menschliche Vorstellungskraft herausfordert. Sie kann einfach nicht unbeteiligt bleiben, angesichts einiger Naturschauspiele, und versucht immer, etwas von sich hinzuzufügen, einen Beitrag zur Bereicherung der Welt Gottes zu leisten.“

Ohne den Herrgott mit einem Großbuchstaben anzurufen gab der Schriftsteller an einer anderen Stelle zu:

„Ich persönlich gebe den Jugendjahren den Vorzug, wenn der Mensch noch ein Heide ist. Ich betrachte mir die Arbeiten älterer Schriftsteller – sie schreiben alle wie ein guter Christ, der weiß, was gut ist und was böse, was wahr und was unwahr ist, was richtig und was falsch. Die Jugendjahre eines Menschen sind hingegen reines barbarisches Heidentum, wie der Sündenfall, als gebe es nichts anderes. Die Vergebung haben sich die älteren Menschen ausgedacht. Später, wenn ein Mensch nicht mehr sündigen kann, bittet er um Vergebung, um Gnade.“

Raditschkow hatte einen Sammelband mit Erzählungen herausgegeben, den er „Unfertige Zeiten“ überschrieb. Unter „unfertig“ verstand er „etwas unterentwickeltes. Die Zeit kann es auch sein, wenn sie keine Ideen hervorbringt und infantil bleibt“.

Können Worte heilen, denn sie können mit Sicherheit sehr viel Böses anrichten...

"Ich entsinne mich einiger Verse eines argentinischen Schriftstellers, der sagte: „mit Steinen und mit Knüppeln können sie mich töten, mit Worten kann ich sie nicht mal verletzen“. Das hat mich früher stark beeindruckt."

Wie können wir unserer Seele helfen? Welches Mittel können wir nehmen, damit es uns nicht so weh tut?

"Zuerst müssen wir ergründen, wo der Schmerz sitzt und was uns eigentlich weh tut. Ich habe es auch ein anderes Mal gesagt, das wir ein Volk sind, das mittlerweile mehr Leib als Seele hat. Darin liegen möglicherweise die Gründe für viele Wahrheiten in unserem Leben verschlüsselt."

Wo sollten wir das Geistige suchen, den echt bulgarischen Geist?

"Alle reden oft darüber, aber ich denke, dass sie sich nicht im Klaren darüber sind, wovon sie eigentlich reden...

Der Geist von Jordan Raditschkow, der wohl der märchenhafteste bulgarische Schriftsteller war, wandelt nun auf dem Weg des Lichts, wird uns aber nie verlassen, solange wir uns seiner besinnen.

*Die Zitate Raditschkows stammen aus dem Buch „Strolchende Worte“ des Argus Verlags. Es enthält Interviews mit dem Schriftsteller, die in den Jahren in den Printmedien erschienen sind. Zitiert wird ferner aus dem Interview, bei dem sich Julia Bankowa mit dem Schriftsteller unterhielt.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow



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