Wenn das Bewusstsein verklärt ist, fern jeder Alltagssorgen und irdischer Bedürfnisse, kann unsere Seele das Licht der Unvergänglichkeit erblicken. Die Schönheit der uns umgebenden Welt tritt stärker in Erscheinung und die Menschen um uns werden mit einem Mal liebenswerter. Unser Herz öffnet sich der Nächstenliebe und unser Leben erhält einen anderen Sinn. Dann begreifen wir, dass die irdischen Sorgen nichts anderes als Prüfungen sind, die uns stärker machen und uns beibringen, überall das Gute zu entdecken. Das ist auch der Sinn der christlichen Fastenzeiten, die vier Mal im Jahr den Gläubigen helfen, ihr Leben zu überdenken und ihr Wertesystem neu zu ordnen. Die Fast – der Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel ist in diesem Sinne keine Diät, sondern nur ein Hilfsmittel, um die Harmonie zwischen Körper und Seele herzustellen.
„Die vorweihnachtliche Fastenzeit beginnt. Alle interessieren sich dafür, was gemacht und was eingehalten werden muss“, sagte uns Bischof Tychon, Vorsteher der hauptstädtischen Kathedrale „Hl. Alexander Newski“. „In der Fastenzeit darf kein Fleisch von Tieren verzehrt werden; Fisch ist nur zu bestimmten Anlässen erlaubt, während Krebstiere, Schnecken und dergleichen aufgetischt werden können. Doch das sollte uns am wenigsten interessieren. Es ist wichtiger zu wissen, dass uns diese Fastenzeit auf die Begegnung mit der Geburt des Herrn vorbereiten muss – ein Fest, dass mit der Größe Gottes in Verbindung steht. Der Schöpfer sendet Seinen Sohn auf die Erde, jedoch nicht als irgend eine sozial hochgestellte Persönlichkeit, sondern als einen ganz gewöhnlichen Menschen. Der Sohn Gottes wurde in einer Krippe geboren, die in einer Höhle stand. Das ist nicht als Zeichen Seiner Bescheidenheit zu deuten, sondern, dass Er bereit ist, Seinen Weg von ganz unten, von der untersten sozialen Stufe zu beginnen. Lange Jahre wurde uns eingeflößt, dass wir alle gleich seien. Wir sind es aber nicht! Es gibt klügere, wie dümmere, reichere, wie auch ärmere, bessere, wie auch weniger gute Menschen. Gleich sind wir nur vor den Augen Gottes. Er ist genauso um die Seele eines Professors, wie auch um die des verdorbensten Diebes besorgt. Das ist es, was uns demokratisch stimmt, denn wenn jeder vor dem Angesicht Gottes gleich ist, dann hat auch jeder das gleiche Recht, sein Schicksal selbst zu bestimmen.“
In der Fastenzeit wird häufig von Demut gesprochen. Bischof Tychon versteht darunter, dass wir uns nicht allzu ernst nehmen und uns nicht für das ausgeben sollten, was wir eigentlich nicht sind. „Das, was wir sind, ist uns von Gott gegeben. Wir müssen es hüten und dafür verwenden, den Nächsten Gutеs zu tun. Auf keinen Fall dürfen wir uns auf das versteifen, was wir gehortet haben, denn es wurde uns nur für eine bestimmte Zeit gegeben – wir besitzen es nicht ewig“, gemahnt Bischof Tychon und weiter: „Wenn wir uns auf jenen Tag vorbreiten, an dem Gott mittels Seines Sohnes auf die Erde kommt um uns zu zeigen, wie wir uns von der Erbsünde befreien können, müssen wir unser Bewusstsein schärfen, um diese Botschaft auch empfangen zu können. Wenn wir nur die Traditionen einhalten – mit dem auf die Erde gestreuten Stroh und den sieben fleischlosen Gerichten auf der Tafel, dann haben wir nichts verstanden. Wir müssen begreifen, was hinter diesen Dingen steht. Im ersten Jahr wird es uns schwer fallen, doch schon das nächste Jahr wird leichter für uns – wichtig ist, auf dem rechten Weg zu wandeln. Wir müssen verstehen, was Er von uns will. Wenn wir der Stimme der Kirche horchen, werden wir es leichter haben. Er will von uns Eines, so schwer es auch ist – wir müssen lernen, unsere Nächsten zu lieben. Und zwar nicht wahlweise jene, die gescheit, reich und großzügig sind, sondern die ganz gewöhnlichen Menschen. Wenn wir mit Liebe durchs Leben gehen, dann ist der Fluch, uns im Schweiße unseres Angesichts zu ernähern für uns keine Qual. Wenn jemand etwas mit Liebe tut, dann spürt er nicht die Anstrengung, die es kostet. Daher ist Christus auf die Erde gekommen. Und wenn die Frauen ihre Kinder mit Liebe gebären, sind die Schmerzen in sekundenschnelle vergessen. Wir müssen uns auf die Nächstenliebe vorbereiten – das ist der Sinn der Fastenzeit. Wir dürfen nicht so sehr auf uns achten, auch nicht darauf, was wir essen und trinken, sondern unsere Sinne auf die Freude des Umgangs mit den Menschen schärfen. Jenes entdecken, was für uns bisher verborgen war und an dem wir bislang achtlos vorübergegangen sind. Ich wünsche allen Landsleuten, wo immer sie sich auch auf der Welt befinden sollten, nicht der allgemeinen Kommerzialisierung des Festes zu verfallen. Es ist nämlich ein Sünde, etwas zu schenken, was keiner braucht, nur um zu zeigen wie reich man ist. Reich ist jener, der Geist und Herzensmut häuft, doch sie kommen nur, wenn man die Nächsten zu lieben weiß.“
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
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