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Die Rhodopen am Kreuzweg (zwischen Erzgewinnung und Tourismus)

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Fotocollage: Silwia Petrowa

Die Rhodopen werden häufig auch magisches Gebirge genannt. Und das aus gutem Grund. Bezaubernd schön, verbirgt das einstige Reich des mythischen Orpheus nach wie vor wertvolle Naturschätze. Vor geraumer Zeit wurde bei Krumowgrad möglicherweise die archäologische Entdeckung des Jahrhunderts gemacht - die älteste Goldmine Europas, die darüber hinaus solide Vorräte aufweist. Der entflammte Kampf um die Zukunft dieses Vorkommens veranschaulicht das Dilemma der Rhodopen in der Gegenwart - soll man den Weg eines nachhaltigen Tourismus einschlagen oder an seinen Erzgruben festhalten. Zwei Wege, die sich in unserer modernen Welt wohl kaum kreuzen werden. Das Gebirge wartet vor allem mit Buntmetallvorkommen auf. In den 1960ern zählt Bulgarien zu den größten Blei- und Zinkexporteuren der Welt. Die Vorkommen wurden jedoch sehr intensiv erschlossen, was sich negativ auf die Umwelt des bezaubernden Gebirges auswirkte. Der Fall der Berliner Mauer 1989 fällt mit einem akuten Preisabfall für Blei und Zink zusammen. Und so wird die GORUBSO-Grube zum Schleuderpreis verkauft. Die Region beginnt sich zu entvölkern.

"Gegenwärtig beläuft sich die Erzgewinnung im Vergleich zu damals auf ein Fünftel ", behauptet Dimitar Sabew, Mitautor einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung angeschobenen Studie.

"Aber ohne den Bergbau haben die Menschen in den Rhodopen nichts zu essen", fügte er hinzu. "Sie sind zu Migration oder zur Rückkehr zur Landwirtschaft für den Eigenbedarf in primitivster Form verdammt, um zu überleben." 

Obwohl nach 2004 die Buntmetallpreise rapide gestiegen sind, fallen die Gehälter der Bergarbeiter in dieser Region mit umgerechnet 400 Euro recht bescheiden aus und sind für die jungen Leute keinesfalls motivierend. Aber auch der ökologische Wahnsinn dieser Industrie aus der Vergangenheit sei noch überall gegenwärtig, verweist Ruslan Jordanow, ein weiterer Mitautor der Studie. Das große Geschwür sind die alten nach wie vor betriebenen Absetzbecken.

"Das Absetzbecken am Erma-Fluss wird seit einem halben Jahrhundert betrieben und fließt in das natürliche Erma-Flussbett ab", verweist Ruslan Jordanow. "Eigentlich dürfte es nach den heutigen Gesetzen nicht mehr existieren. Drastisch ist auch die Lage um das Absetzbecken bei Kardschali, das nur wenige hundert Meter von den nahe gelegenen Dörfern entfernt liegt. Bis vor kurzem gab es dort kein Berieselungssystem. Und so blies der Wind den Feinstaub über die Häuser. Leider befindet sich auf der anderen Seite dieser Dörfer die regionale Mülldeponie. Geradezu ein Genozid. Die verlassenen Staatsgruben, um die sich niemand kümmert, sind ein großes Problem. Im Ergebnis dessen sind die Flüsse in den Erzbergbaugebieten langfristig verschmutzt."

Es liegt auf der Hand, dass die Menschen in diesen Gebieten enorme gesundheitliche Probleme haben, auch die Quarzstaublunge ist nach wie vor ein Thema.

Gleichzeitig hagelt es aus dem In- und Ausland ununterbrochen Vorschläge zur Inbetriebnahme neuer Gruben mit Investitionen in Milliardenhöhe. So mancher sieht dort den neuen Klondike. Andere, wie das bulgarisch-niederländische Projekt "Neues thrakisches Gold", setzen auf die abseits der Gruben erhaltene wilde und wundervolle Natur als unschätzbare Ressource für nachhaltigen Tourismus, der zudem auf den sprudelnden Mineralquellen und der historischen Vergangenheit des legendären Gebirges fußen könnte. Im Gegensatz zu jeglichen Bodenschätzen eine unerschöpfliche Ressource.

Dieser Meinung ist auch Mariana Hristowa von der Bürgerinitiative gegen Schiefergas. Im gleichen Atemzug verweist sie auf eine industrielle Alternative - das Recyceln des steigenden Aufkommens an Elektroabfällen, die unzählige wertvolle Elemente enthalten.

"Beim Recyceln von einer Tonne Elektroschrott fallen neben Legierungen anderer wertvoller Metalle rund 20 g Gold ab", verweist Mariana Hristowa. "Bei einer Tonne Golderz liegt die Ausbeute bei höchstens 3-4 Gramm. Darüber hinaus verzeichnet das bulgarische Golderz neben dem chilenischen den weltweit höchsten Arsengehalt und muss deshalb mithilfe der Zyanidtechnologie weiterverarbeitet werden. Ganz zu schweigen von den niedrigen Konzessionsgebühren für die Vorkommen, die für den Staat nur wenig lukrativ sind."

Neben Nachhaltigkeit bringt der Tourismus ein breites Beschäftigungsspektrum für die Frauen der Region mit sich, die bisher in den hier und da verstreuten kleinen Nähereien vorsintflutlicher Ausbeutung unterworfen sind. Viele von ihnen hätten im Hotel- und Gastronomiegewerbe, in der Biolandwirtschaft oder in den lokalen Handwerken eine bessere Zukunft. Das Problem ist, dass der Öko- und Kulturtourismus in diesen Gebieten noch in den Kinderschuhen steckt.

Übersetzung: Christine Christov 




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