In den ersten Tagen der zweiten Regierung Borissow haben nur wenige geglaubt, dass die mühsam zustande gekommene komplizierte Regierungskoalition lange überleben wird, geschweige denn, dass sie im Stande sein wird, die dringend notwendigen, jahrelang verschobenen und deshalb schmerzlichen Reformen anpacken und nach zwei Jahren politischer, sozialer und wirtschaftlicher Turbulenzen für Stabilität sorgen kann.
100 Tage nach Amtsantritt sieht die Zwischenbilanz dieser Regierung positiv und zugleich widersprüchlich aus. Die soziale Stabilität ist wiederhergestellt, die meisten Behörden sind keine Zielscheibe mehr für diverse Proteste und auch nicht mehr länger von internen Konflikten zerrissen. Die Regierung selbst sowie das Parlament müssen scharfe Kritik ertragen, aber niemand wünscht sich Neuwahlen. Nach einer Zeit, gekennzeichnet von widersprüchlicher und doppelbödiger Außenpolitik, kehrte Bulgarien auf die Bühne der vertrauensvollen und stabilen EU- und NATO-Partner zurück. Kurz zusammengefasst: die Stabilität ist vorhanden, obwohl sie die politischen Beobachter in unterschiedlichen Nuancen sehen.
Anders sieht es auf dem Gebiet der Reformen aus. Die Grenze zwischen Erfolg und Scheitern ist verwischt. Dabei bedürfen alle Nischen der Sozial- und Wirtschaftspolitik radikaler Veränderungen und sichtbarer Verbesserung der Effektivität. Die Wirtschaft tritt weiterhin auf der Stelle, die ausländischen Investitionen lassen nach wie vor auf sich warten, die Auslandsschulden steigen kontinuierlich an. Das Haushaltsdefizit geht zwar zurück, liegt aber weiterhin bedrohlich hoch, die Deflation ist ebenfalls besorgniserregend und stößt Wirtschaftsinitiativen zurück, und der Verbrauch und die Exporte haben sicherlich deutlich bessere Tage erlebt. Der lautstarke Skandal mit dem Aus für die Erdgasleitung South Stream ist erst gar nicht zu erwähnen.
Und dennoch – die Regierung "Borissow 2" startete die lang erwarteten Reformen. Besonders fortgeschritten und von den Bürgern am ehesten spürbar ist die Umwandlung des Gesundheitswesens. Der neue Gesundheitsminister Peter Moskow genießt hohes Vertrauen – er ist ehrgeizig und dynamisch, und hat die Ärmel hochgekrempelt, um die Gesundheitsfürsorge in Bulgarien von Grund auf umzukrempeln. Dafür aber leidet die nicht minder ehrgeizig angepackte Rentenreform unter dem Unmut der Öffentlichkeit. Empfindlich sieht es auch im Bereich Sicherheit aus, wo man sich endlich bewusst geworden ist, dass Polizei und Sicherheitsbehörden nicht mehr länger wie zu totalitärer Zeit funktionieren können. Dorthin fließt so viel Geld, dass endlich auch konkrete Folgen zu sehen sein müssen. Sie lassen aber noch auf sich warten. Das blieb auch für die EU-Kommission nicht unbemerkt – die schärfste Kritik im jüngsten Fortschrittsbericht über Bulgarien betrafen eben den Bereich Inneres. Zugleich aber stellte Brüssel sein Vertrauen in Bulgarien wieder her – die gesperrten EU-Programme sind wieder angelaufen.
Damit sind aber die notwendigen Reformen noch lange nicht ausgeschöpft. Die Liste ist lang und erstreckt sich auf die Energiewirtschaft, wo der Schuldenberg zusehends wächst, auf die Eisenbahn und die Transportinfrastruktur, auf die Verteidigungspolitik und speziell die Armee, die dringend modernisiert werden muss. Die Bildung ist ebenfalls ein empfindlicher Bereich, wo der Trend umgedreht werden muss – von den heute unzähligen gebildeten Langzeitarbeitslosen hin zu jungen Experten, die von der Wirtschaft gebraucht werden.
Die ersten 100 Tage der zweiten Regierung Borissow sind um und sie lassen trotz der langen Reformliste Grund zum Optimismus zu, dass die Bemühungen in die richtige Richtung gehen.
Redaktion: Vessela Vladkova
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