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Was erwarten die Unternehmen vom Bildungssystem?

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Foto: BGNES

Das Bildungssystem in Bulgarien steht seit Jahren in der Kritik. Da es den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes in keiner Weise nachkommt, sind umgehende Reformen nötig. Zudem die bulgarischen Schüler bei internationalen Vergleichsstudien stets Schlusslicht sind. Als Beispiel wollen wir lediglich die jüngst von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Bildungsstudie angeben, laut welcher 44% der bulgarischen Schüler Probleme bei der Lösung der Testaufgaben in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften haben. All das scheint den heimischen Politikern offenbar egal zu sein. Und gerade sie stehen durch die nun schon seit über zwei Jahrzehnten aufgeschobene Bildungsreform in der Schuld der jungen Bulgaren.

Der Nachwuchs von heute wird nach einem Gesetz von 1991 unterrichtet und kann den Anforderungen der modernen Wirtschaft damit wahrlich nicht entsprechen. Erst jetzt bahnt sich eine Veränderung an. Der neue Gesetzentwurf über die Vorschul- und Schulbildung soll bis spätestens Juni in zweiter Lesung vom Parlament verabschiedet werden und ab dem Schuljahr 2016/17 in Kraft treten. In diesem sind erstmals die Kompetenzen erfasst, die sich die Schüler im Laufe ihrer Schulbildung aneignen sollen. Genannt seien Unternehmergeist, Eigeninitiative, digitale Kompetenzen, Teamfähigkeit und schöpferisches Denken. Auch soll die Berufslenkung bereits in der 1. Klasse beginnen.

"Es ist sehr wichtig, dass die Kinder bereits im frühen Alter über verschiedene Berufe informiert werden, damit ihnen später die Berufswahl leichter fällt", kommentierte Milena Damjanowa, Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Bildung und Wissenschaft. Um die Bildung auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes auszurichten, will der Gesetzgeber die Gymnasialstufe in zwei Phasen unterteilen und den Gymnasien die Möglichkeit geben, in Zusammenarbeit mit Hochschulen und Unternehmen für die Klassenstufen 11 und 12 spezielle Lehrprogramme zu erarbeiten. Die bisher lediglich im Rahmen von Pilotprojekten praktizierte duale Ausbildung soll künftig per Gesetz festgeschrieben werden. Ein Novum, das die Unternehmen aktiv in die Entwicklung der Schule einbeziehen soll, sind die öffentlichen Räte, die jeder Bildungseinrichtung angegliedert werden sollen. Neben Unternehmen werden in diesen Vertreter der Gemeinde- und Stadtverwaltungen und Eltern präsent sein.

"Der öffentliche Rat soll die Entwicklungsstrategie der entsprechenden Schule verabschieden", erklärt Milena Damjanowa. "Er wird zu diversen Parametern des Schuletats Stellung beziehen und über die auf Schulebene erstellten Lehrprogramme für die s.g. Pflicht- und Wahlfächer befinden. Auch soll die Profilierung in der 11. und 12. Klasse mit dem Rat abgestimmt werden."

Ebenfalls vorgesehen ist die Einführung einer externen Bewertung der Bildungsqualität, von welcher dann die zusätzliche Bezuschussung der jeweiligen Kindergärten und Schulen abhängt. Allerdings sieht der Nichtregierungssektor hier Probleme.

"Wichtig ist, was bewertet wird. Hier stellt sich die Frage, ob wir adäquat die von uns angestrebten Kompetenzen bewerten wollen oder weiterhin die vermittelten Lehrplaninhalte", meint Natalia Mitewa von der Stiftung "Amerika für Bulgarien". "Besonders dann, wenn die Bewertung an eine Finanzierungsformel gebunden wird. Es ist sehr wichtig, das wir von den derzeitigen Bewertungsmechanismen abkommen, da sie kein ausreichendes Kriterium für die Qualität des Unterrichts darstellen."

Laut Daniela Simidschiewa von der Bulgarischen Wirtschaftskammer sei der Gesetzentwurf in Richtung Erwartungen der Unternehmen ein Schritt nach vorn. Allerdings alarmieren Arbeitgeberorganisationen, es bestehe die Gefahr, dass sich ganze Branchen ohne Fachkräfte erweisen, da ein Großteil der Beschäftigten bald in Rente gehe. Und man besteht auf die Einrichtung eines Qualifizierungsregisters, das über die Ausbildung eines jeden Bürgers Auskunft gibt. "Das ist auch für die Berufsgymnasien von Bedeutung, die ihre Planung danach ausrichten könnten", kommentiert Daniela Simidschiewa. Ein weiteres von den Unternehmen bemängeltes Problem ist die Standortverteilung der Berufsgymnasien.

"In Bulgarien gibt es ca. 30 Schulen für Systemprogrammierung, Programmierer und Computertechnologien", führt Teodora Warbanowa von Microsoft Bulgarien als Beispiel an. "Ein Großteil dieser Schulen befindet sich in Regionen wie Smoljan, Sandanski, Montana, Haskowo, Sliwen, in denen in der Praxis keine solchen Unternehmen angesiedelt sind. Die IT-Unternehmen sind hauptsächlich in Sofia und partiell in Plowdiw, Warna und Burgas situiert. Was mich dabei beunruhigt ist die Frage, wo die Schüler, die beispielsweise am Berufsgymnasium für Informationstechnologien in Smoljan lernen, in der 11. und 12. Klasse ihre Kompetenzen entwickeln und ihr Praktikum machen sollen. Ich habe das wirklich mal nachgeprüft. In dieser Region gibt es wirklich nur eine einzige Firma, die weitgehend etwas mit Informationstechnologien zu tun hat – und zwar eine Computerwerkstatt."

Übersetzung: Christine Christov



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