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Jeder zehnte Bulgare lebt knapp an der Armutsgrenze

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Foto: BGNES

Ein Fünftel der bulgarischen Bevölkerung ist armutsgefährdet. Und jeder zehnte Bulgare führt ein Dasein an der Schwelle tiefster Armut, weit entfernt von den Einkommen des Mittelstands. Das belegt eine Studie des Instituts für Marktwirtschaft. Besorgniserregend ist zudem, dass gerade diese Menschen selbst von positiven Veränderungen in der Konjunktur kaum profitieren können und in einer langfristigen und sich reproduzierenden Armutsspirale gefangen sind. Am stärksten sind dabei arbeitslose und wirtschaftlich nicht aktive Menschen betroffen, wobei jeder zweite Unbeschäftigte Gefahr läuft, in die Gruppe der Bedürftigen zu herabzugleiten.

Hoch ist auch der Anteil der Rentner, deren Existenz knapp an der Überlebensgrenze liegt. Die Demoskopen stellen dabei große Unterschiede zwischen Männern und Frauen fest – Frauen sind weitaus höheren Risiken ausgesetzt, die mit der Zeit immer größer werden. Die Gründe dafür liegen zum einen in der unterschiedlichen Lebenserwartung, zum anderen im Rentensystem. 335.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren müssen ebenfalls Entbehrungen ertragen. Ein Großteil von ihnen lebt nur mit einem Elternteil oder in kinderreichen Familien, wobei letzteres vor allem für die Minderheiten gilt. Zwei Drittel der bulgarischen Haushalte mit drei oder mehr Kindern sind armutsgefährdet, über die Hälfte leben in tiefstem Elend. Das Armutsgefälle ist in den unterschiedlichen Landesteilen recht groß. In Sofia werden 7 Prozent der Bevölkerung als arm eingestuft, in Widin, Sliwen und Pasardschik - über 40 Prozent. Unterschiedlich ist auch das Armutsprofil dieser Menschen, es unterscheidet sich je nach Beschäftigung, Bildung, Zugehörigkeit zu einer Minderheit etc. Es kann keine zentralisierte Politik zur Überwindung der Armut geführt werden, da sie durch unterschiedliche Probleme und Faktoren verursacht wird, meinen Experten. Was die Risikogruppe der Arbeitslosen und wirtschaftlich Inaktiven angeht, sollten vornehmlich Maßnahmen zu deren Ausbildung und Beschäftigung getroffen werden. In diesem Zusammenhang sagte Peter Ganew vom Institut für Marktwirtschaft:

Man sollte sich darauf fokussieren, die Zahl der Menschen mit Grundschuldbildung zu reduzieren. Aus unseren Studien geht eindeutig hervor, dass Menschen mit Grundschuldbildung keine Realisierung auf dem Arbeitsmarkt finden können und die Folge davon ist Armut. Zudem sollten die Kinder bereits in der Schule Fähigkeiten erwerben, von denen sie auf dem Arbeitsmarkt profitieren können. Die Politik sollte auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze ausgerichtet sein. Falls die Arbeitsgehälter verdoppelt würden, würde dies das Problem der sogenannten armen Arbeitenden lösen, nicht aber die Probleme jener, die in tiefster Armut leben, der Arbeitslosen und der wirtschaftlich nicht aktiven Menschen. Wir sollten nicht nur von einer Einkommenspolitik reden, sondern auch von einer Beschäftigungspolitik“, betonte Peter Ganew.

Eine Reihe von Sozialhilfen wurden vor den Wahlen 2009 angehoben. Die Folge davon war die sogenannte „Arbeitslosenfalle“, weiß Jawor Alexiew vom Institut für Marktwirtschaft zu berichten. Es handelt sich dabei um einen Indikator, der zeigt, inwiefern sich Arbeitslosengeld und Beschäftigungssteuer auf die Motivation der Arbeitslosen auswirken, einen Job zu finden.

Das bedeutet, dass die Monatseinkommen eines Arbeitslosen lediglich um 18 Prozent ansteigen würden, falls er einer Beschäftigung nachgeht“, erläutert der Wirtschaftswissenschaftler. „Das ist ein plausibles Phänomen in allen Sozialstaaten, da sie alle über ein Netz verfügen, dass die Menschen in schwierigen Zeiten auffangen soll. In Bulgarien liegt das Problem darin, dass die Arbeitslosigkeit in vielen Fällen zum Dauerzustand wird. Das führt zu einer Senkung der individuellen Wettbewerbsfähigkeit und der Arbeitsgewohnheiten der Betroffenen, erst recht heutzutage, das sich die Anforderungen der Arbeitgeber rasant verändern und steigen“, sagte abschließend Jawor Alexiew.

Übersetzung: Rossiza Radulowa



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