Die neue Sitzungsperiode der 43. Volksversammlung wurde traditionell mit Programmerklärungen der Parlamentsfraktionen eingeläutet. Die GERB-Partei und der Reformblock akzentuierten auf die Themen Verfassungsänderungen sowie die Reformen in der Justiz und im Sicherheitsbereich. Die Patriotische Front will stärker gegen Alltagskriminalität vorgehen und strebt eine Novellierung des Wahlgesetzes an. ABV sprach sich für die Rentenreform aus. Die Sozialisten in der Opposition kritisierten die nicht umgesetzten Versprechen und die Partei der türkischen Minderheit DPS warnte vor Nationalpopulismus. GERB-Fraktionschef Zwetan Zwetanow appellierte an die Abgeordneten, auf der Parlamentstribüne von politischer Agitation abzusehen. Radan Kanew erklärte im Namen des Reformblocks, die anstehenden Kommunalwahlen würden in den kommenden Monaten mit Sicherheit ein Thema sein.
Wir fragten die Politologen Dr. Boris Popiwanow, Lektor an der Sofioter Kliment-Ochridski-Universität, und Dr. Kiril Awramow von der Neuen Bulgarischen Universität, was sie in den kommenden Monaten vom Parlament erwarten.
"Meine Erwartungen sind mäßig optimistisch", meint Kiril Awramow. "Es gibt nichts Neues, außer vielleicht die Bemühungen des Reformblocks, die schmerzhaften Reformen erneut an die Tagesordnung zu bringen. Im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen werden sie vermutlich erneut in den Hintergrund gerückt, um die berühmt-berüchtigte Stabilität zu retten. Die kommenden Wochen werden also erneut davon geprägt sein, das Gleichgewicht vor den anstehenden Wahlen aufrecht zu erhalten."
"Die bevorstehenden Wahlen sind in der Tat ein Faktor, in dessen Licht es uns immer schwerer fällt, das Vorgehen der politischen Kräfte zu beurteilen", meint Boris Popiwanow. "Die kommenden Sitzungswochen sind de facto die letzten, in denen auch andere Thematiken als das Wahlthema behandelt werden können. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit das den politischen Parteien gelingen wird. Die von GERB und dem Reformblock oft deklarierte Stabilität und gemeinsamen Ziele dienen nur allzu häufig dazu, von sich selbst zu überzeugen. Zumal die dringend notwendige Justizreform viele Fragen aufgeworfen hat. In den vergangenen Wochen waren wir Zeugen von vielen und chaotischen Initiativen der Regierung, allen voran von Regierungschef Bojko Borisow - jedoch nicht nur von ihm, die keinerlei Klarheit in das Anliegen der Justizreform gebracht haben. Minister Hristo Iwanow hat von Anfang an relativ klare Ideen und Konzepte vorgelegt, die allerdings in der Folgezeit aufgeweicht wurden, um dann ins Parlament eingebracht und wieder zurückgezogen zu werden. Es entsteht der Eindruck, dass der Ministerpräsident kein besonderes Interesse hat, diese Reform voranzubringen, trotz aller Beteuerungen, dass diese Reform umgesetzt wird als auch Verfassungsänderungen."
Leider gaben die Abgeordneten am Rednerpult nicht zu verstehen, wie die Politik das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen will.
"Der Vertrauenskredit für jene, die die Proteste verkörperten, wurde für sichtbares Vorgehen gegen die Mafia gewährt", so Kiril Awramow. "Eine der ersten Erklärungen von Radan Kanew vom Reformblock war, wenn es sein muss, wird das eine kurze Amtszeit - jedoch mit schlagkräftigen Reformen. Ich würde es begrüßen, wenn man sich erneut auf diese Plattform besinnt, da diese Thematik leider von den bevorstehenden Wahlen verdrängt wird."
"Ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Regierungsparteien diese Art ziviler Intoleranz zu Herzen nehmen, die nichts mehr mit der vor zwei Jahren gemein hat", fügt Boris Popiwanow hinzu. "Vor den Wahlen geht es nicht primär um die Bekämpfung der Mafia, sondern darum, möglichst viele Bürgermeister und Gemeinderäte ins Amt zu bringen. Dafür müssen die Parteien mit führenden Faktoren vor Ort zusammenarbeiten, von denen nicht alle eine saubere Weste haben."
Übersetzung: Christine Christov
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