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Von Kontinuität in der Gaspolitik – keine Spur

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Die Erdgassuche vor der bulgarischen Schwarzmeerküste soll Anfang 2016 beginnen. Das kündigte in dieser Woche Bulgariens Ministerpräsident Bojko Borissow an. Das Projekt von drei großen europäischen Erdöl- und Erdgaskonzernen wartet bereits seit 2012 auf seine Umsetzung. Nach Ansicht der konservativen Regierung in Sofia ist die Verzögerung auf die Vorgängerregierung der Sozialisten zurückzuführen. Sie sei Moskau treu gewesen und habe befürchtet, dass eigene Vorkommen die Abhängigkeit Bulgariens vom russischen Gas sichtlich abschwächen würde.

Im 14.220 Quadratkilometer großen Gebiet "Khan Asparuh" im Schwarzen Meer werden bis zu 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas vermutet. Der Block befindet sich etwa 80 Kilometer vor der Schwarzmeerküste bei Warna. In einem angrenzenden Gebiet in Rumänien wurden bereits 40 bis 80 Milliarden Kubikmeter Gas gefunden. In den letzten Jahren liegt der Erdgasverbrauch in Bulgarien unter 4 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Bis 2025 erwarten jedoch die Energieexperten des Landes, dass die Nachfrage bis zu 6,3 Milliarden Kubikmeter jährlich steigen wird. Bulgarien bezieht knapp 90 Prozent seines Bedarfs an Erdgas aus Russland und war von der Gaskrise im Januar 2009 zwischen Russland und dem Transitland Ukraine besonders stark betroffen.

Spätestens seitdem ist die Erdgassuche topaktuell. Bulgarien zahlt momentan rund 6 Milliarden Euro jährlich für Erdöl- und Erdgaslieferungen, während die bulgarischen Vorkommen ungenutzt bleiben, rechnete Ministerpräsident Borissow vor. Er gab Nachbarland Rumänien als Beispiel, wo inzwischen lediglich zehn Prozent der gebrauchten Gas- und Ölmengen importiert werden müssen.

Eine ähnliche Erfahrung machte auch Litauen. Und baute ein Flüssiggasterminal in der Ostsee, um die Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen zu verringern. Der 300 Meter lange Flüssiggas-Tanker mit dem bezeichnenden Namen "Independence" (Unabhängigkeit) ist eine schwimmende Anlage zur Lagerung und Aufbereitung von verflüssigtem Erdgas. Der Terminal sei ein wichtiges strategisches Projekt, denn er bedeute Energieunabhängigkeit, hieß es bei der Einweihung der Anlage Anfang des Jahres. Mit einer Speicherkapazität von 170.000 Kubikmetern Flüssiggas deckt sie bis zu 90 Prozent des Gasbedarfs aller baltischen Staaten.

Und was macht Bulgarien? Es bewegt sich seitdem im Tango-Schritt. Jeder Regierungswechsel in Sofia bringt ein neues Energieprojekt in den Vordergrund. Mal will es South Stream mit Russland bauen, mal will es alternativen Gasquellen den Vorrang geben. Von Kontinuität in der Gaspolitik – keine Spur.

Der russisch-ukrainische Gasstreit 2009 hatte Ernüchterung in ganz Europa gebracht, denn es stellte sich heraus, dass es Russland als wichtigsten Gaslieferanten hilflos ausgeliefert ist. Die Gaskrise erinnerte die Europäische Union, und insbesondere Bulgarien, an ihre kurzsichtige Energiepolitik. Obwohl die Union die größte Volkswirtschaft der Welt ist, ist sie in ihrer Energieversorgung weitgehend auf Importe angewiesen. Allen voran aus Russland. Immer wieder unternimmt die EU neue Versuche, diese Abhängigkeit ein wenig zu mildern. Bisher ohne nennenswerte Erfolge, bedenke man, dass der Bau der Pipeline Nabucco, die von der Türkei aus nach Österreich führen und Russland umgehen sollte, sang- und klanglos gescheitert ist. Vom direkten Zugang zu den großen Gasvorkommen im kaspischen Raum und im Nahen Osten sollte auch Bulgarien profitieren. Bulgarien hat seit der Gaskrise 2009 immer wieder versichert, es will sich mehr Bezugsquellen verschaffen, um die bestehende Importabhängigkeit zu überwinden. Passiert ist aber nichts. Der Leidensweg der Gasnetzverbindungen zu den benachbarten Ländern Griechenland, Türkei, Rumänien und Serbien ist mittlerweile nicht einmal mehr Medienthema. Dabei waren die Koppelungsprojekte wichtigste Priorität des Energieministeriums. Und auch EU-Geld wurde dafür bereitgestellt. Dadurch soll Bulgarien eines Tages Gas aus anderen Quellen beziehen können, um die sagenumwobene Diversifizierung der Gaslieferungen zu erreichen. Doch, das alles ist nach wie vor Zukunftsmusik.



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