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Sozialistisches Kunsterbe in Gefahr

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Foto: BGNES

Nach der Wende in Bulgarien vor mehr als einem viertel Jahrhundert begann man mit der sozialistischen Ideologie aufzuräumen. Das galt auch für die sozialistische Kunst als Träger dieser Ideen – die Bilder und Büsten verschwanden in den Galeriedepots, während etliche der monströsen Denkmäler des Totalitarismus demontiert, oder einfach dem Verfall preisgegeben wurden.

Die Einstellung zu den Kunstwerken aus sozialistischen Zeiten ist in der Bevölkerung verschieden und hängt nicht immer von den politischen Ansichten des einzelnen ab. Er kommt immer häufiger vor, dass Denkmäler, die einst an die Helden der Arbeiterbewegung und den Kampf um die Etablierung des Sozialismus erinnern sollten, von avantgardistischen Künstlern „verkleidet“ und auf mehr oder weniger geschickte Weise neu interpretiert, damit aber auch mehr und mehr entfremdet werden. Etliche Bulgaren ärgern sich aber über den Kitsch und fordern Achtung gegenüber der Vergangenheit und den künstlerischen Werten. Die Masse steht den Denkmälern jedoch eher gleichgültig gegenüber.

Jüngst fand in Sofia eine Gesprächsrunde, organisiert vom bulgarischen Komitee des Internationalen Rats für Denkmalpflege (ICOMOS) statt, die sich dem Umgang mit sozialistischem Kunsterbe widmete. Unter den Teilnehmern war Prof. Jörg Haspel, Landeskonservator Landesdenkmalamt Berlin. Er erzählte von den deutschen Erfahrungen und stellte einen Vergleich an:

СнимкаDie Situation ist ähnlich. Die Menschen in Deutschland meiden es, diesen Teil der Geschichte zu kritisieren. In beiden Ländern haben ähnliche Ereignisse stattgefunden – in Sofia wurde das Dimitrow-Mausoleum abgerissen, während in Berlin das Lenin-Denkmal entfernt wurde. Derzeit versuchen wir, diese historische Periode zu analysieren und einer Kritik unterziehen.

Es sei trotz allgemein negativer Einstellung zu dieser Periode wichtig, die Relikte als historisches Gedächtnis zu erhalten, meinte der Professor weiter. Architekt Todor Bulew konterte, dass wir weiterhin inmitten eines sozialistischen Erbes leben müssen – es sei bei weitem mehr, als in den letzten 25 Jahren an Neuem geschaffen wurde. Man müsse also aussortieren:

Es besteht die Gefahr, dass allem was zwischen 1944 und 1989 entstanden ist, der Stempel der Ideologie aufgedrückt wird“, warnt er. „Erinnert sei an das Denkmal „1300 Jahre Bulgarien“, das nicht direkt der kommunistischen Ideologie unterstellt ist. Das Gleiche gilt auch für das Denkmal „Banner des Friedens“. Meiner Meinung mach muss man die Denkmäler unter den Aspekt ihrer kulturellen, historischen und ästhetischen Werte betrachten. Etliche Denkmäler entstanden unter den Händen begabter bulgarischer Künstler, so dass wir nicht leichtsinnig mit diesen Werken umgehen dürfen.“

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Während die Denkmalpflege zu den Pflichten des Staates gehört, ist der Umgang mit ihnen eine gesellschaftliche Frage. Wie kann das aufgefasst werden, fragten wir Prof. Haspel.

Das hängt von der historischen Situation ab. In den ersten Monaten nach dem Fall der Berliner Mauer begannen die Menschen diese Mauer zu zerstören und das war ein Ausdruck ihrer Freiheitsbestrebungen. Im Nachhinein wurde ihnen jedoch bewusst, dass ihre Vernichtung eigentlich ein Verlust des Geschichtsgedächtnisses ist. Für die Wissenschaftler, wie auch für die gewöhnlichen Menschen ist es besser, ein solches Überbleibsel aus vergangenen Zeiten real zu sehen, als nur davon in Büchern zu lesen. Daher hat man auch die Archive des Sozialismus bewahrt – sie sollen erforscht werden, um mehr über die Ereignisse zu erfahren.

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Laut Prof. Jörg Haspel sollten die sozialistischen Denkmäler auch vor Ort belassen werden, weil sie in enger Verbindung mit der Geschichte des Platzes stehen. Ihre Neuinterpretation sei eine andere Sache: „Es handelt sich um ein Überdenken dieser Denkmäler. Beim Abriss der Berliner Mauer nahmen sich einige Menschen Stückchen von ihr mit nach Hause. Das kennzeichnet die Haltung gegenüber einem solchen Monument. Ein Teil der Berliner Mauer wurde auch von Künstlern neu gestaltet und ist nun so etwas wie eine Galerie. Wir haben also einerseits ein historisches Denkmal erhalten und andererseits es neu interpretiert. Das sind Formen der Haltung und der Kritik gegenüber unserem historischen Erbe und man muss das anerkennen.“

Wichtig sei, über die Geschichte seines Landes nachzudenken, meinte der Experte vom Landesdenkmalamt Berlin. Daher seien die Überbleibsel der Vergangenheit wichtig. „Wir müssen verstehen, wie die Geschichte manipuliert und in ein Werkzeug der totalitären Regime verwandelt wurde“, sagte abschießend Prof. Jörg Haspel.

Deutsche Fassung: Wladimir Wladimirow

Fotos: BGNES



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