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2005: Stefan Gruew – Das andere Bulgarien

Foto: dnevnik.bg

Das andere Bulgarien – das sind die Tausenden Bulgaren, die nach dem prosowjetischen Putsch am 9. September 1944 aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Im Ausland hielten sie die Erinnerung an ihr Vaterland, seine Geschichte und Kultur wach und dachten über seine Zukunft nach.

Einer unter ihnen war Stefan Gruew, Sohn des Vorstehers der königlichen Kanzlei Pawel Gruew. Nach dem Gymnasialabschluss schrieb er sich in der Sofioter Universität ein und setzte seine Ausbildung in Genf fort, wo er Jura studierte. Nach dem Machtwechsel in Bulgarien 1944 wurde er aufgefordert, nach Hause zurückzukehren – er tat es jedoch nicht und entging so den Repressalien, denen seine Familie ausgesetzt wurde. Am 1. Februar 1945 wurde sein Vater zusammen mit den Regenten, vielen Abgeordneten und Politikern des Dritten Bulgarenreiches vom sogenannten Volksgerichtshof zum Tode verurteilt.

In der Geschichte der bulgarischen politischen Emigration nach dem Machtantritt der Kommunisten können drei Gruppen unterschieden werden. Die erste Gruppe befand sich bereits im Ausland, als der Machtwechsel stattfand. Unter ihnen waren Diplomaten, Geschäftsleute und Studenten, die im Ausland studierten, so wie Stefan Gruew. Die zweite Gruppe bestand aus Bulgaren, die unmittelbar nach dem Putsch das Land verließen. Zur dritten Gruppe gehörten wiederum Menschen, die flohen, als der rote Terror begann.

Als Stefan Gruew nach Genf reiste, um sein Studium anzutreten, ahnte er nicht, dass er in den folgenden 46 Jahren nicht nach Hause zurückkehren kann. Die Kommunisten zwangen seine Familie, Sofia zu verlassen und verbannten sie in der Dobrudscha, im Nordosten Bulgariens, wo sie in absoluter Misere leben musste. Nach 13 Jahren gelang es Gruew, seine Mutter aus Bulgarien zu schleusen. In der Zwischenzeit gab er in Paris eine Emigrantenzeitung mit der Überschrift „Bulgarisches Volk“ heraus; später nahm er eine Arbeit als Reporter der angesehenen Zeitschrift „Paris Match“ auf. Unter den Persönlichkeiten, mit denen er Interviews führte waren der kubanische Revolutionär Fidel Castro, der deutsche Wissenschaftler Wernher von Braun, der ägyptische Offizier und Staatsmann Nasser und viele andere. In den Jahren 1957 bis 1977 leitete er das Auslandsbüro der Zeitschrift in New York. In der Zwischenzeit erhielt er 1963 die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Unter allen bulgarischen Emigranten war Gruew die wohl vielseitigste und weltoffenste Persönlichkeit. Er war nicht nur als Journalist für die Pariser Zeitschrift tätig, sondern reiste auch viel und betätigte sich als Schriftsteller; aus seiner Feder stammen acht Bücher in Französisch und Englisch. Gruew erreichte sogar die Antarktis und den Südpol, vergaß aber keinen Augenblick lang seine Heimat Bulgarien.

Stefan Gruew etablierte sich als ein scharfer Gegner des Kommunismus und arbeitete bei „Radio Freies Europa“ und der BBC. Zusammen mit anderen bulgarischen Emigranten schuf er einige Organisationen, darunter das „Freie bulgarische Zentrum“. Bei einem seiner späteren Aufenthalte in Bulgarien erzählte er folgendes über diese Vereinigung:

Eines unserer Hauptziele bestand darin, die öffentliche Meinung in der Welt davon zu überzeugen, dass das bulgarische Volk und die bulgarische Regierung zwei grundverschiedene Dinge sind und dass das Volk der größte Leidtragende ist. Wir fanden es für die bulgarische Sache überaus schädlich, dass man die Bulgaren als Ganzes für die verschiedensten Dinge verantwortlich machte, wie beispielsweise den Mord an Georgi Markow, den Handel und Schmuggel von Waffen und Rauschgift usw. Man kann von den Journalisten in der ganzen Welt nicht verlangen, dass sie wissen, wer konkret dahinter steckt. Und gerade darin bestand eine unserer Aufgaben – die wirklichen Schuldigen beim Namen zu nennen, denn das bulgarische Volk war unschuldig.“

Und dennoch musste Stefan Gruew auch nach der Wende zur Demokratie mit Bitterkeit feststellen: „Das neue Bulgarien wird auf Sand und nicht auf Beton errichtet…“ Seine Einschätzung fußte auf seine Jahre langen Erfahrungen und den Blick auf die Geschichte.

Und dennoch fühlte sich Gruew glücklich, denn er durfte das Ende der kommunistischen Herrschaft, den wenn auch schwierigen Neuanfang und die Herausgabe seiner Bücher in seiner Heimat erleben. Auf Bulgarisch erschienen: „Das Manhattan-Projekt“, „Dornenkrone“ und seine Autobiographie „Meine Odyssee“. Stefan Gruew wurde Mitbegründer der Amerikanischen Universität in Bulgarien. 2002 wurde ihm die Ehrendoktorwürde und der Orden „Der Reiter von Madara“ Erster Stufe für seinen Verdienst bei der Popularisierung der bulgarischen Kultur und Geschichte verliehen.

Im Jahre 2006 starb der bedeutende Patriot in New York im Alter von 83 Jahren. Damit wurde eine Seite voller stürmischer Erlebnisse in der neueren Geschichte Bulgariens umgeblättert, die jedoch weiterhin einer objektiven Beurteilung entbehrt.

Übersetzung: Wladimir Wladimirow



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