Der türkische Präsident Erdogan, dessen Regierungspartei AKP die vorgezogenen Parlamentswahlen in der Türkei überzeugend gewonnen hat, bezeichnete seinen Wahlsieg als Votum für die Stabilität des Landes.
„Die Strategie der AKP stützte sich auf Eskalation der Spannungen, Konsolidierung der nationalistischen Wähler und größtmögliche Isolierung der prokurdischen Demokratischen Volkspartei HDP“, erläutert Ljubomir Kjutschukow, Leiter des Instituts für Wirtschaft und internationale Beziehungen. „Hätte die HDP die 10-Prozent-Hürde zum Einzug ins türkische Parlament nicht überwunden, hätte Erdogans AKP automatisch qualifizierte Mehrheit erzielt. Die zunehmenden nationalistischen Aktivitäten der Regierung einerseits sowie die blutigen Attentate in Suruç und Ankara andererseits haben die Lage zusätzlich eskaliert und zu einer Polarisierung der öffentlichen Meinung in der Türkei geführt. Erdogan hat es zwar geschafft, die Wahlen zu gewinnen und eine Regierung aufzustellen, doch reichen seine Abgeordneten im Parlament nicht aus, um Verfassungsänderungen in Richtung Präsidentenrepublik vorzunehmen. Die Grundbotschaft dieser Wahlen lautete: Entweder Wahlsieg der AKP oder Chaos im Land und Probleme für die Sicherheit in Europa wegen der Krise im Nahen Osten. Alle externen Faktoren sind mit diesem Ergebnis zufrieden. Es ist offensichtlich, dass Europa einen starken Leader mit deutlicher Parlamentsmehrheit als Partner bevorzugt“, meint Ljubomir Kjutschukow.
„Unter diesen Umständen ist die Rolle Erdogans als zuverlässiger Schlüsseldiktator positiv, da sie von der momentanen internationalen Lage begünstigt wird“, kommentiert Plamen Raltschew von der Wirtschaftsuniversität. „Langfristig gesehen ist diese Rolle jedoch fraglich, wie das Schicksal der Diktatoren in Nordafrika und im Nahen Osten gezeigt hat, denn es ist unklar, wie lange sie gewissen ausländischen Interessen entsprechen wird. Ich bin sicher, dass Erdogan beginnen wird, die EU, die sich vor weiteren Migrationswellen fürchtet, zu schikanieren. Ich glaube nicht, dass die Türkei auch künftig auf ihren EU-Beitritt hinarbeiten wird. Sie zieht bestimmte Vorteile aus ihren Beziehungen mit der EU, gehört der Zollunion an und hat in wirtschaftlicher Hinsicht aus dieser Partnerschaft gewonnen. Die Strategie von Erdogan wird von nun an über die Grenzen Europas hinausreichen. Er wird eher manipulativ alles Mögliche tun, um bestimmte Zugeständnisse zu erwirken“, meint Plamen Raltschew.
Die bilateralen Beziehungen zwischen Bulgarien und der Türkei sind von ausschlaggebender Bedeutung für unsere nationale Sicherheit, ist Ljubomir Kjutschukow überzeugt: „Als EU-Land teilt Bulgarien die Probleme und Ängste Europas, doch gelten sie für uns in noch größerem Maße. Sollten diese zwei Millionen Migranten der Türkei als Mittel dafür herhalten, Europa unter Druck zu setzen, wird Bulgarien als Nachbarland das als erstes zu spüren bekommen. Der ständige Dialog, den Bulgarien zu führen bemüht ist, ist von extrem wichtiger Bedeutung für unsere nationale Sicherheit und ich erwarte, dass er auch künftig fortgesetzt wird“, sagte Ljubomir Kjutschukow.
Plamen Raltschew rechnet damit, dass die Spannung in der Türkei eskalieren wird und sich ungünstig auf die bilateralen Beziehungen zwischen unseren Ländern auswirken könnte. „Die Prozesse der Umstrukturierung der türkischen Gesellschaft und der wachsende Konfliktpegel könnten sich negativ auf die Sicherheit der Türkei auswirken. Auf Bulgarien könnte auch das Streben Erdagans reflektieren, die Türkei in ein Gravitationszentrum für alle Moslems zu verwandeln, die auf Territorien des früheren Osmanischen Reichs leben. Bulgarien war Teil dieses Reiches. Dieses Gravitationszentrum stützt sich nicht nur auf religiöse, sondern auch auf soziale Pfeiler wie Arbeitslosigkeit, Gesundheitswesen etc. Diese interne Konfrontation wirkt sich auch auf die bulgarischen Auswanderer in der Türkei aus, die die doppelte Staatsbürgerschaft haben. Ich arbeite an einem Buch und habe eine Reihe anonymer Umfragen und Interviews mit bulgarischen Auswanderern gemacht. Viele von ihnen missbilligen Erdogans Politik und würden bei einer ungünstigen Entwicklung der Prozesse in der Türkei daran denken, nach Bulgarien zurückzukehren. Das ist eine Hypothese, die von allen unbeachtet bleibt“, sagte abschließend Plamen Raltschew.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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