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Der Terror, Frankreich und Europa

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Foto: EPA / BGNES

Als am 11. September 2001 die Terroristen das World Trade Center dem Boden gleich gemacht haben, wussten wir sofort: die Welt ist nicht mehr die gleiche. Die USA opferten einen Teil der Freiheit, um in einer sicheren Welt weiterzuleben. Das liberale Europa nahm es Washington übel. Doch, allein in einem Jahr hat es Paris zwei Mal getroffen – im Januar mit dem Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo, und nun am Freitag, dem 13., als der Lebensstil des freien Europas zur Zielscheibe wurde.

"Nach dem Blutbad in Paris sind die Menschen hier natürlich voller Emotionen, aber auch geschockt, und man spürt zum ersten Mal so etwas wie Angst", berichtet die bulgarische Journalistin Rumjana Ugartschinska, die seit vielen Jahren in der französischen Hauptstadt lebt. "Erst heute kehrt so etwas, wie Normalität zurück. Die Menschen gehen zur Arbeit, sprechen natürlich viel darüber und es kehrt jene Stimmung des Zusammenschlusses zurück, wie nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo. Paris ist keine zufällige Zielscheibe für die Terroristen", sagt Ugartschinska weiter. "Die Konzerthalle, die Bars, das Stadion – das alles ist ein Symbol für den Lebensstil, den die Terroristen hassen. Paris war schon immer ein Symbol des freien Geistes."

"Einer für alle, alle für einen" – diese so französische Devise der Musketiere ist heute eine Metapher für die Prüfung, die wir alle zu bestehen haben. Die politische Lösung des Syrien-Konflikts darf beginnen, verkündete die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nach der Wiener Verhandlungsrunde. Wie geht es weiter?

"Leider musste es wieder zu einem Terroranschlag kommen, um die Politiker und die internationale Diplomatie zum Handeln zu zwingen", kommentiert Ljubomir Kjutschukow, ehemaliger Vizeaußenminister Bulgariens und heute Leiter des Instituts für Wirtschaft und internationale Beziehungen. "Das Syrien-Treffen in Wien hat genaue Ziele für die Lösung des Konflikts umrissen. Aber die Maßnahmen kommen entweder spät oder sind unzureichend. Denn es geht darum, ob und wie die Menschen in Syrien von nun an wieder friedlich zusammenleben können. Die erste und unmittelbare Aufgabe ist natürlich, den Krieg zu beenden. Aber es geht auch darum, wie der Frieden gesichert wird. Im Gegensatz zum Bürgerkrieg, der nur politisch zu lösen ist, ist die Bekämpfung der Dschichadistenmiliz IS mit politischen Mitteln nicht möglich", behauptet Kjutschukow. "Mit dem Islamischen Staat sind keine Verhandlungen zu führen. Gegen den Terror ist nur militärisch vorzugehen. Die einzige Lösung ist ein synchronisiertes Vorgehen. Der Versuch, nationale, ideologische und politische Probleme im Alleingang zu lösen, würde die Effektivität der globalen Terrorbekämpfung nur schmälern. In den letzten zwei Monaten hat sich die Lage dramatisch verändert, es war zu erwarten, dass der IS versuchen wird, die Konfrontation auf Europa zu verlagern", behauptet der Experte Ljubomir Kjutschukow.

Christen und Moslems leben seit Jahrhunderte zusammen. Und auch Migrationsströme gab es schon immer in der Vergangenheit. Was ist passiert, damit sich die Konfrontation so zugespitzt hat, fragen wir Mohammed Halaf, bulgarischer Journalist, der im Irak geboren ist und in Sofia als Korrespondent einer kuwaitischen Zeitung arbeitet.

"Meiner Ansicht nach sind die Europäer daran schuld, weil sie viele Prozesse sowohl in Europa, als auch im Nahen Osten verschlafen haben", sagt Halaf. "Über 60 Jahre lang hat Europa Diktatorenregimes im Nahen Osten geduldet. Infolge dessen ist die Zivilgesellschaft in diesen Ländern de facto ausgelöscht worden. Europa hat auch die Prozesse unter den Emigranten in den europäischen Ländern verschlafen, die zwischen 40 und 50 Millionen an der Zahl sind. Die Integration ist gescheitert. Wir erleben, wie sich Menschen der zweiten und dritten Generation in Frankreich, Belgien und anderen Ländern dem Islamischen Staat anschließen. Manche von ihnen kehren nach einer Ausbildung in den Camps der Dschichadisten zurück und verüben Anschläge gegen die Menschen, die sie aufgenommen hatten. Die Europäer sind daran schuld, dass in Moschees in Europa die Hassrede des radikalen Islams zugelassen wird. Warum darf so Hass gegen Christen und Juden gepredigt werden? Kein einziges Volk würde freiwillig auf seine Freiheit verzichten. Doch, die Demokratie kann nicht durch Krieg aufgezwungen werden", meint der irakische Journalist Mohammed Halaf.

Werden wir geschlossen bleiben und für Freiheit, Demokratie und Toleranz Schulter an Schulter kämpfen können? Oder werden wieder nationale Egoismen die Oberhand gewinnen? Man muss wissen, was diesen Hass der Terroristen treibt. Die beispiellose Anschlagserie von Paris ist der 11. September Europas, erklärte der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow. Und forderte:

"Wir müssen sehr schnell unsere Politik umdenken. Wir müssen sehr schnell nicht nur die Kooperation unter den Behörden enger gestalten, wir müssen auch unsere Integrationspolitik neu gestalten. Wir müssen mit diesen Risikogruppen arbeiten, denn die gepriesenen `Gettos der Toleranz` haben uns Terroristen beschert", kommentierte Borissow.

Deutsche Fassung: Vessela Vladkova



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