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Geht Bulgarien aus der Krise zwischen Russland und der Türkei als Gewinner oder als Verlierer hervor?

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Wenn zwei sich streiten, gewinnt der Dritte, lautet ein altes bulgarisches Sprichwort. Wie sieht es aber für ein kleines Land wie Bulgarien aus, wenn sich zwei Großmächte wie Russland und die Türkei streiten? Die Beziehungen dieser Länder waren über Jahrhunderte von Feindschaften und Kriegen geprägt, bis vor wenigen Tagen standen sie sich allerdings sehr nahe. Und nun? Stimmt es, dass es sich im Trüben besser fischen lässt, um bei den bulgarischen Sprichwörtern zu bleiben? Oder – um es mit geläufigen Worten zu formulieren: Kann Bulgarien aus dem russisch-türkischen Konflikt profitieren oder wird er auch auf uns negativ abfärben?

Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es wohl kaum. Bulgarien ist nicht in der Lage, die neue Marktlücke, die sich nun auf dem riesigen russischen Markt auftut, zu füllen. Vor allem die Nahrungsmittelimporte aus der Türkei werden den Restriktionen Moskaus als erstes zum Opfer fallen. Bulgarien baut aber weder Zitrusfrüchte an, noch wird hierzulande das ganze Jahr über frisches Obst und Gemüse gezüchtet. Die heimische Konservenindustrie hätte bessere Chancen; fragt sich nur, ob wir über ausreichend Konserven verfügen, um den russischen Markt sofort zu versorgen. Vielleicht müssen wir erst bis zur nächsten Ernte ausharren. Bis dahin könnten aber die Sanktionen entfallen, die Russland gegen Lebensmittelimporte aus EU-Ländern verhängt hat.

Moskau wird auch die Textilimporte aus der Türkei einstellen, die in dieser Branche Welterster ist. Auch unser Land ist in diesem Sektor sehr gut positioniert. Die bulgarischen Textilproduzenten sollten deshalb schleunigst versuchen, auf den russischen Zug aufzuspringen, den der türkische Passagier verlassen musste.

Bulgarien könnte zudem bessere Positionen auf dem türkischen Energiemarkt erobern, nachdem die Russen den Bau eines neuen Kernkraftwerks in unserem Nachbarland vorerst auf Eis gelegt haben. So schlimm es um die bulgarische Energiewirtschaft auch bestellt sein mag, stellt Bulgarien ausreichend Strom her, den es auch vor allem in seine Nachbarländer exportiert. Die Tatsache, dass das AKW-Projekt zwischen Russland und der Türkei ins Wasser gefallen ist, zeichnet gute Perspektiven für die bulgarische Energieexporte.

In die Liste der potentiellen Chancen für die bulgarische Wirtschaft infolge des russisch-türkischen Konflikts gehört zweifelsohne auch der Tourismus. Aus landesinternen Gründen und wegen der Krise mit der Ukraine ist die Zahl der russischen Touristen in ganz Europa spürbar geschrumpft. Das gilt auch für Bulgarien und die Türkei. Immerhin gehören unsere beiden Länder zu den attraktivsten und meistbesuchten Urlaubsländern. Auf das ultimative Veto, das Präsident Putin gegen die Reisen seiner Landsleute in die Türkei eingelegt hat, reagieren die Vertreter der bulgarischen Tourismusbranche mit zufriedenem Händereiben. Ihnen wurde in Sekundenschnelle bewusst, dass das der ideale Zeitpunkt ist, um die vakanten Stellen zu besetzen und wenigstens einen Teil der russischen Touristen, die geplant hatten, ihren nächsten Sommerurlaub in der Türkei zu verbringen, nach Bulgarien zu locken.

An Aktualität gewinnt auch die Errichtung eines Energiehubs in der Nähe der bulgarischen Schwarzmeerstadt Warna, auf den unsere Regierung große Hoffnungen setzt. Nunmehr steht fest, dass die Gaspipeline Turkish Stream, die vom russischen Küstenort Anapa durch das Schwarze Meer über die Türkei bis an die griechische Grenze und von dort nach Europa verlaufen sollte, wohl nur auf dem Papier bleibt. Da dieses Projekt den Bau einer Gasverbindung über Bulgarien vereitelt hat, war Sofia von Anfang an nicht gut darauf zu sprechen. Wir können also davon ausgehen, dass weder die Turkish-Stream-Gaspipeline noch der Gashub an der türkisch-griechischen Grenze gebaut werden, da es in einem solchen Hub wohl nichts mehr zu verteilen gäbe. Die zügige Vernetzung des bulgarischen Gasnetzes mit dem unserer Nachbarländer und die eigenen Gasvorkommen, die man zu erschließen hofft, könnten Bulgarien tatsächlich dazu verhelfen, zum Verteilungszentrum aufzusteigen, über das Mittel- und Westeuropa mit Gas versorgt werden.

Nichts für ungut, lautet ein weiteres bulgarisches Sprichwort. Wir haben keinen Grund, dieser Volksweisheit nicht zu vertrauen, allerdings gibt es heutzutage keine absoluten und ewigen Wahrheiten mehr. Zumal eine Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Türkei, dem für Bulgarien mächtigsten und wichtigsten Wirtschaftspartner aus der Region, reale Risiken birgt, die bei einer ungünstigen Konstellation alle potentiellen Nutzen für unser Land mit einem Wisch auslöschen könnten.

Übersetzung: Rossiza Radulowa



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