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Fortschrittsbericht kommt, Regierung macht sich hübsch

Foto: Archiv

Ende Januar erwartet Bulgarien den nächsten Fortschrittsbericht der EU-Kommission über die brisanten Bereiche Inneres und Justiz. Neben Rumänien steht Bulgarien noch seit seinem EU-Beitritt vor neun Jahren unter der Aufsicht der Europäischen Kommission, die jährlich die Fortschritte in der Korruptions- und Verbrechensbekämpfung prüft. Immer wieder fiel es in der Vergangenheit auf, dass medienstarke Razzien der Behörden die Veröffentlichung dieser Fortschrittsberichte begleiten. Januar 2016 macht da keine Ausnahme.

Seit heute gibt es das Zollamt Swilengrad am größten Grenzpunkt zwischen Bulgarien und der Türkei nicht mehr. Dazu hatte sich die Regierung in Sofia entschieden, weil mehrere Korruptionsfälle beim Zollamt an der EU-Außengrenze aufgedeckt worden sind. Zuletzt im Dezember wurden 30 Zollbeamte festgenommen. Die Anklage lautet: Bestechung. Nun wird das komplette Zollamt geschlossen, das jahrelang ein Sinnbild für Korruption und schnell reich gewordene Zöllner war.

Beeindruckende Entschlossenheit fehlte auch im Landesinneren nicht. Die Polizei und die Staatliche Sicherheitsagentur DANS deckten erst vor wenigen Tagen ein großangelegtes Geldwäsche-Schema auf. Mit Hilfe partnerschaftlicher Behörden konnte die Überweisung von fünf Millionen Euro auf Konten fiktiver Firmen unterbunden werden. Parallel dazu sind zwei Polizeibeamte und ein Agent der DANS festgenommen worden.

Diese positiven Meldungen hätten das Image des Landes sicherlich deutlich geglättet, wären da nicht die drei Auftragsmorde der letzten Tage, die so sehr an die besten Mafia-Jahre erinnern. In der Schwarzmeermetropole Warna wurde der Hotelbesitzer Tinko Georgiew ermordet, der gegen einen namhaften Mafia-Boss, gesucht von Interpol, vors Gericht gezogen ist. Und in Sofia fand man die Leiche des mit mehreren Schüssen hingerichteten Wesselin Stoimenow, der als Nachfolger einer der emblematischen Mafia-Bosse galt. Vor wenigen Tagen erschossen wurde auch der Modezar Alexander Antow, dem eigentlich keine Mafiaverbindungen nachgesagt werden.

Auch in der viel diskutierten Justizreform tut sich in letzter Zeit viel. Halbherzige Reformschritte fanden ihren Weg durchs Parlament, so dass die Verfassung geändert wird. Da man aber nicht gewillt war, bis zum Ende zu gehen, trat Justizminister Hristo Iwanow zurück und löste damit eine Welle der Begeisterung unter Richtern aus. So steht seit heute der Vorsitzende des Obersten Kassationsgerichts Losan Panow im Visier des Ethikausschusses des Justizrates, weil er durch eine Rede angeblich die Justiz unzulässig politisiert habe. Unterstützt wurde er von 145 hohen Richtern, unter anderem für die Worte: "Ist Bulgarien in einem Viertel Jahrhundert seiner demokratischen Entwicklung unter die volle Kontrolle der Oligarchie gestellt worden, so ist das so gewollt gewesen. In diesen Jahren haben zwei Millionen Bulgaren das Land verlassen, darunter viele junge und gut ausgebildete Menschen. Auch das ist so gewollt gewesen. Diejenigen, die geblieben sind, trauen der Justiz nicht, trauen der Gerechtigkeit der Gerichte nicht, trauen den Parteien nicht, trauen den Schutzorganen nicht, trauen den Behörden und den Medien nicht. Und auch das ist so gewollt. Sie glauben dem Staat nicht und in diesem Misstrauen gedeiht das Status quo. Das ist so gewollt. Wenn die politischen Parteien die Justizreform nicht zu Ende führen, dann ist es auch so gewollt. Denn Roosvelt hatte einst gesagt: In der Politik geschieht nichts zufällig. Wenn etwas geschieht, kann man sicher sein, dass es auch auf dieser Weise geplant war."

Diese bemerkenswerte Rede hielt kein anderer, als der Vorsitzende jenes Gerichtshofes, das mit der obersten Aufsicht der Gesetzanwendung beauftragt ist. Wenn er einen Grund für scharfe Kritik hat, dann hat ihn sicherlich auch die EU-Kommission. Sofia darf also aus Brüssel einen kritischen Fortschrittsbericht erwarten. Sollte er tatsächlich kritisch ausfallen, wird Bulgarien auch in seinem zehnten Jahr als Mitglied der Europäischen Union unter der Aufsicht der Kommission bleiben.

Deutsche Fassung: Vessela Vladkova



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