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Europäische Projekte in Bulgarien scheitern wegen der Türkei

Die Parkanlage „Armenier“ in Haskowo wurde zu einem Stolperstein in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Bulgarien und der Türkei.
Foto: btvnovinite.bg

Heute und morgen geht das Feilschen zwischen der Europäischen Union und der Türkei zur Bewältigung der Migrationskrise weiter. In einem unserer Kommentare zu diesem Thema nannten wir die drei Forderungen Ankaras eine reine Erpressung. Zur Erinnerung: die Türken wollen nicht drei, sondern sechs Milliarden Euro, um die Migranten unter Kontrolle zu halten; ferner wird eine Visafreiheit für die türkischen Bürger verlangt sowie die Beschleunigung der Prozedur zur Aufnahme der Türkei in die Europäische Union.

Die erste Bedingung ist erfüllbar – die EU hat das nötige Geld und kann das „Lösegeld“ von 6 Milliarden Euro zahlen. Es stellt sich aber sogleich die Frage, ob es bei dieser Summe bleiben wird? Was die Visafreiheit anbelangt, lässt sicher auch ein Hintertürchen finden. Doch die Forderung nach beschleunigter Aufnahme in die EU ist ein Ding der Unmöglichkeit, bedenkt man die derzeitige Lage in diesem Land.

Ankara zeigt immer häufiger, dass es von den Prinzipien und den moralischen Werten der europäischen Gemeinschaft noch weit entfernt ist. Ein Beispiel dafür ist das Verhalten der türkischen Behörden innerhalb der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Bulgarien als ein EU-Mitgliedsland. Dieser Tage meldeten bulgarische Medien, dass innerhalb des Programms für grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Bulgarien und der Türkei die Gemeinden Burgas, Haskowo und Swilengrad von der Europäischen Union keine Gelder erhalten werden. Es handelt sich um eine Summe von insgesamt 11 Millionen Euro. Der Grund für das Ausbleiben der Gelder ist das Verbot zur Zusammenarbeit, das vom türkischen Außenministerium an die Partnergemeinden in der Türkei ergangen ist. Ankara ist aufgebracht, weil eine Parkanlage in der bulgarischen Stadt Haskowo in Angedenken an das Genozid an den Armeniern auf den Namen „Armenier“ getauft ist. Die Gemeinden Burgas und Swilengrad haben ihrerseits mit einer offiziellen Erklärung das armenische Genozid im Osmanischen Reich anerkannt.

Das bulgarische Fernsehprogramm BTV zitierte den Bürgermeister der türkischen Stadt Edirne, Recep Gürkan: „Mit Haskowo haben wir sehr gut zusammengearbeitet, doch nun wurde uns das vom türkischen Außenministerium verboten und dieses Verbot ist endgültig“. Um die Dinge wieder zurechtzubiegen, müsse man laut Gürkan dem Beispiel der bulgarischen Stadt Jambol folgen, wo die dortige Gemeindeleitung ihre Erklärung über das armenische Genozid einfach zurückgenommen habe…

Es gibt eine Reihe weiterer Beispiele. Im vergangenen Sommer stoppte die türkische Stadt Bursa die Charterflüge in die bulgarische Partnerstadt Plowdiw, weil die dortige Gemeinde ebenfalls das Genozid an den Armeniern anerkannt hatte…

Lässt man die Strafaktionen der Türkei gegenüber den „unartigen“ bulgarischen Gemeinden zur Seite, was im Grunde genommen eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten und ein ernster diplomatischer Skandal ist, gehen Gemeinden in Bulgarien EU-Gelder für den Umweltschutz und den Schutz vor Naturkatastrophen verloren, die jeden Winter und jeden Frühling ernsthafte Schäden verursachen.

Die Türkei sollte sich damit abfinden, dass man die Geschichte nicht verändern kann. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts nahm das Osmanische Reich (dessen Erbe die Türkei ist) ein Genozid an seiner armenischen Bevölkerung vor und vernichtete über anderthalb Millionen Menschen. In der Türkei will man das aber nicht wahrhaben, denn laut internationalem Recht ist ein Genozid ein Verbrechen, das strafbar ist und die Auszahlung von Entschädigungen nach sich zieht.

In der Welt gibt es Dutzende Länder, die das armenische Genozid im Osmanischen Reich offiziell anerkannt haben. Auch das Gros der Geschichtswissenschaftler vertritt diese Meinung. Frankreich und Kanda sind sogar einen Schritt weitergegangen und haben entsprechende Gesetze verabschiedet, die die Bestreitung des armenischen Genozids für strafbar erklären.

Im bulgarischen Parlament wurden mehrere Versuche unternommen, das Genozid an den Armeniern anzuerkennen. Die entsprechenden Vorschläge wurden jedoch von den Abgeordneten der Türkenpartei „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ bereits im Keim erstickt. Im April vergangenen Jahres kam es zu einer Scheinlösung und das Parlament erkannte den Massenmord an den Armeniern an; das Wort „Genozid“ wurde tunlichst vermieden. Das servile Verhalten hat jedoch Folgen und das für beide Seiten. Es ist an der Zeit, dass sich Bulgarien emanzipiert und endlich anfängt, als EU-Mitglied Bedingungen zu stellen.

Übersetzung: Wladimir Wladimirow



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