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Juncker schreibt an Borissow, Borissow telefoniert mit Putin

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Foto: Archiv

Das wirtschaftliche Steckenpferd der amtierenden Regierung ist das Energiewesen. Beinahe täglich gibt es in dieser Sparte neue Fakten, Zahlen und Ereignisse. Ganz besonders, was das Erdgas betrifft, das von den bulgarischen Haushalten nur relativ schwach als Energieträger genutzt wird, dafür aber in der Industrie hoch im Kurs steht. Derzeit bezieht unser Land diesen Energieträger vorwiegend aus Russland. Die diesbezüglichen Ambitionen Bulgariens sind jedoch beeindruckend.

Genau darum ging es auch in einem Antwortschreiben von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aus der Vorwoche, in welchem er den Standpunkt der Kommission zu diesem Thema darlegt. Am Tag darauf telefonierte Ministerpräsident Bojko Borissow bereits mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Und das aus gutem Grund.

Erstens ist Bulgarien Mitglied der Europäischen Union und muss daher seine Energievorhaben mit der Gemeinschaft abstimmen. Trotz seiner EU-Mitgliedschaft bezieht Bulgarien seine Energierohstoffe und Ausrüstung fast ausschließlich aus Russland. Auch das einzige Atomkraftwerk im Land stammt aus Russland. Gleiches gilt für den neuen Meiler, der in Auftrag gegeben wurde. Die einzige Rohölraffinerie ist russisches Eigentum und das Gas kommt ebenfalls aus Russland. Kurz gesagt - Bulgarien hängt am russischen Tropf. Nur, dass die Dinge zwischen Moskau und Brüssel in letzter Zeit nicht so laufen, was Sofia bereits am eigenen Leib zu spüren bekommen hat. Denn, im Zuge der europäischen Auflagen wurde das erträumte Gaspipelinevorhaben South Stream fallen gelassen und die erwarteten Einnahmen aus Transitgebühren haben sich in Luft aufgelöst.

Es sieht ganz danach aus, dass die Kommission noch nicht sicher ist, ob Bulgarien aus seinen Fehlern gelernt hat, d.h. unser Land kann seine Pläne zwar verwirklichen, muss sich jedoch an die europäischen Regeln halten. Das hat Juncker in seinem Schreiben an Borissow erneut klar gemacht. Borissow telefonierte umgehend mit Putin, um ihm mitzuteilen, dass die Auflagen aus Brüssel die gleichen sind, wenn auch in leicht abgeschwächter Form. Zumindest so weit, dass frühere bulgarisch-russische Energieprojekte, die noch nicht in Vergessenheit geraten sind, Realisierungschancen haben.

Für Sofia haben zwei Projekte besonderen Stellenwert. Das erste existiert bisher nur in den Köpfen. Die Rede ist vom Bau eines regionalen Gasverteilungszentrums, das die Länder des Balkans und Südosteuropas versorgen soll. Das Problem dabei ist, dass es bisher nichts zu verteilen gibt, da die Idee mit dem Scheitern des South-Stream-Projekts de facto ihren Sinn und Zweck verloren hat. Denn Bulgarien erschließt weder eigene Gasvorkommen, noch stehen die Anbindungen an die Gasnetze der Nachbarländer.

Das zweite Projekt ist zwar deutlich ausgereifter, liegt jedoch auf Eis. Dabei handelt es sich um den zweiten bulgarischen Atommeiler am Standort Belene. Die Infrastruktur ist soweit fertig und hat bisher eine Milliarde Euro verschlungen. Einer der beiden geplanten Blöcke wurde bereits in Russland hergestellt. Allerdings hat Bulgarien kein Geld, um diesen zu bezahlen und ist derzeit am Grübeln, wie es weiter verfahren soll. Zumal unser Land laut Urteil des Internationalen  Schiedsgerichts der russischen Firma in absehbarer Zeit 550 Millionen Euro zahlen muss. Nur zur Erinnerung – als der Bau des Atommeilers auf Parlamentsbeschluss eingestellt wurde, argumentierten die Projektgegner u.a. damit, dass Bulgarien kein zweites Atomkraftwerk brauche, da man bereits jetzt genug eigenen Strom erzeuge und sogar exportiere.

Jean-Claude Juncker hat den Energieprojekten der bulgarischen Regierung unter Vorbehalt grünes Licht gegeben. Unter Vorbehalt, da die Projekte den europäischen Regeln entsprechen müssen und Sofia nicht nach Belieben schalten und walten kann. Jetzt liegt es an der bulgarischen Regierung, die Ideen in wirtschaftlich tragbare Vorhaben zu verwandeln, für welche die EU finanzielle Hilfe in Aussicht gestellt hat. Speziell für das Gasverteilungszentrum, wogegen man dem zweiten Atommeiler recht reserviert gegenübersteht. Es sieht ganz danach aus, als ob sich Sofia für den Meilerbau jetzt nach einem ausländischen Privatinvestor umsehen will, der das Projekt zu Ende bringt.

Was genau Borissow und Putin neben der Einsetzung gemeinsamer Arbeitsgruppen zur Erörterung der Lage in der Energiezusammenarbeit in ihrem Telefonat besprochen haben, geht aus den nüchternen Pressemitteilungen aus dem Kreml und Sofia nicht klar hervor. Allerdings kann man aus den bisherigen Ausführungen den Schluss ziehen, dass beide Spitzenpolitiker so einiges zu besprechen hatten. In diesem Sinne wäre es keine große Überraschung, wenn das begrabene Gaspipelineprojekt South Stream in der ein oder anderen Form wiederbelebt würde – mit bulgarischer Beteiligung und nach europäischen Regeln. Zumal die für das Projekt vorgesehenen Röhren bereits in bulgarischen Häfen schlummern.

Übersetzung: Christine Christov



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