Sendung auf Deutsch
Textgröße
Bulgarischer Nationaler Rundfunk © 2024 Alle Rechte vorbehalten

Bulgarien nach dem Rennen um den Posten des UN-Generalsekretärs

БНР Новини
Foto: BGNES

Die Erwartungen, dass auf den Posten des UNO-Generalsekretärs eine Frau aus Osteuropa gewählt wird, erwiesen sich als leer. Gewählt wurde der Portugiese António Guterres. Es wird gemunkelt, dass sich Russland im letzten Augenblick für ihn entschieden habe, anstatt für irgendeinen der Kandidaten aus dem Osten zu stimmen. In Bulgarien zeigte man sich vom Abstimmungsergebnis enttäuscht.

Die Wahl erwies sich insbesondere für Bulgarien als ein heikles Thema, weil es gleich zwei Kandidatinnen im Rennen hatte. Diese Tatsache wurde nicht nur in Bulgarien selbst kritisiert und sogar ironisiert – ganze Kontinente haben keine Kandidaten, Bulgarien dafür gleich zwei! Die bulgarische Regierung hatte zunächst eine Kandidatin ins Rennen geschickt – Irina Bokowa. Im letzten Augenblick änderte die Regierung jedoch ihre Meinung und versuchte sie durch eine neue Kandidatin, Kristalina Georgiewa, auszutauschen. Der Wechsel klappte jedoch nicht ganz, denn Bokova blieb in der Kandidatenliste, auch ohne die Unterstützung der bulgarischen Regierung. Schließlich wurde sie vierte, während die neue offizielle Kandidatin lediglich auf den achten Platz kam.

Die politischen Kräfte im Land brachten der Rochade gemischte Gefühlte entgegen. Als erste sprachen sich die Linken und speziell die Bulgarische Sozialistische Partei und die ABW-Partei gegen den Austausch aus. Im Zuge des einsetzenden Kampfes um den Posten des Staatspräsidenten in Bulgarien, der am 6. November gewählt werden soll, kritisierten zunehmend mehr politische Spieler den Wechsel. Schließlich wurden sogar in der regierenden GERB-Partei kritische Stimmen laut. Der stellvertretende Parteivorsitzende Zwetan Zwetanow meinte nach dem Fiasko, dass „wohl alle in gewisser Weise schuld haben, weil man sich nicht auf einen Kandidaten einig war“. Der Fehlgriff der Regierung wurde von allen Seiten derart heftig kritisiert, dass sich selbst Staatspräsident Rossen Plewneliew einschalten musste. Er appellierte, dass man sich Beleidigungen und „schwere Worte“ verkneifen solle, weil beide Kandidatinnen würdig um den Posten gekämpft hätten. Seine Worte verhallten leer im Raum, denn zu sehr hat sich die Atmosphäre aufgeheizt. Dem Premierminister Bojko Borissow war, wie nicht selten, der Geduldsfaden gerissen und er warf ein, dass Bokowa die „Frechheit gehabt habe, nach ausbleibenden Rückhalt seitens der Regierung im Rennen zu bleiben“.

Logischer Weise fordert die Linke nun den Rücktritt der Regierung. Und nicht nur das! Kristalina Georgiewa solle ihren Posten als für Haushalt und Personal zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission aufgeben. Einen Regierungsrücktritt fordert auch die Türkenpartei „Bewegung für Rechte und Freiheiten“. Die entstandene Situation wird unweigerlich die Konsultationen über einen Misstrauensantrag gegen die Regierung ausweiten. Man müsse die Regierung zur Verantwortung ziehen, jedoch erst nach den Präsidentschaftswahlen, meinte Krassimir Karakatschanow, Kandidat der nationalistischen Wahlkoalition „Patriotische Front“ und „Ataka“.

Ins Kreuzfeuer geraten lehnte Bojko Borissow genervt einen Rücktritt ab, und wälzte die Schuld für die Wahlschlappe in der UNO auf die Großmächte ab, die seinen Worten nach keinen osteuropäischen Politiker auf diesen Posten sehen wollen. In seiner Hartnäckigkeit, die Regierungsentscheidung über den Kandidatentausch zu rechtfertigen, ließ er sich zu Äußerungen verleiten, bei denen viele die Augenbrauen hochzogen. Borissow meinte, dass die bulgarische Kandidatur völlig bedeutungslos gewesen sei, da sich erst einmal die Russen und die Amerikaner darüber einigen müssten, wer der UNO vorstehen soll. Wenn das so ist, fragt man sich, warum hat dann Bulgarien zuerst einen Kandidaten und dann einen weiteren nominiert? Waren die Entscheidungen überhaupt souverän und zu welchem Preis fielen sie? Ferner war es überaus unangebracht, als Borissow darauf hinwies, dass Bokowa einer kommunistischen Familie entstammt. Ihre Herkunft hat sie nicht daran gehindert, Generaldirektorin der UNESCO zu werden, auch störte das nicht, sie als erste für den Posten des UNO-Generalsekretärs zu nominieren! Eingefleischte Kritiker kommentierten, dass auch Kristalina Georgiewa und die Präsidentschaftskandidatin der GERB-Partei, Zezka Zatschewa, eine kommunistische Vergangenheit besitzen…

Unterm Strich kommt heraus, dass das Wettrennen um den höchsten UNO-Posten allen in Bulgarien geschadet hat. Irina Bokowa fühlt sich wegen der Angriffe aus ihrem Heimatland gekränkt. Kristalina Georgiewa, die sich im Namen besserer Chancen für Bulgarien überreden ließ, als zweite Kandidatin ins Rennen zu gehen, hat ebenfalls in ihrer Heimat nicht wenig Kritik wegstecken müssen, selbst die Forderung nach einem Rücktritt aus der Europäischen Kommission. Die Regierung muss sich einen Haufen Vorwürfe anhören und die Bürger sind beleidigt und fühlen sich hinters Licht geführt, weil ihnen keiner sagt, was sich eigentlich hinter den Kulissen ereignet hat. Ein schwacher Trost, wenn überhaupt, ist die Tatsache, dass keiner in Bulgarien die Eigenschaften vom siegreichen António Guterres in Frage gestellt hat und stellt. Wider Erwarten wurde ein Mann auf den Posten gewählt; auch stammt der neue Generalsekretär nicht aus Osteuropa. Das stört aber in keiner Weise, ihm Sympathie entgegenzubringen, zumal er aus einem befreundeten Land stammt.

Übersetzung: Wladimir Wladimirow



Последвайте ни и в Google News Showcase, за да научите най-важното от деня!

mehr aus dieser Rubrik…

Der Wahlkampf zu den Europawahlen in Bulgarien im Schatten einer weiteren vorgezogenen Parlamentswahl

Bulgarien wählt am Sonntag, den 9. Juni, das 50. Parlament des Landes. Es sind die sechsten vorgezogenen Parlamentswahlen innerhalb von zweieinhalb Jahren. Dieses Mal fallen sie mit der Wahl des neuen Europäischen Parlaments zusammen, für das Bulgarien..

veröffentlicht am 06.06.24 um 12:10

Blickpunkt Balkan

Griechenland identifiziert 83 Jahre später 18 NS-Opfer Achtzehn Zivilisten, die während des Zweiten Weltkriegs auf der griechischen Insel Kreta hingerichtet wurden, konnten 83 Jahre später durch DNA-Analysen im Labor für Paläogenomik und..

veröffentlicht am 31.05.24 um 12:48
Erzbischof Stefan

Blickpunkt Balkan

Die mazedonisch-orthodoxe Kirche steckt im Streit um den Namen Mazedonien und die Erzdiözese Ochrid fest Die mazedonisch-orthodoxe Kirche hat sich in den Streit um den Namen „Mazedonien“ eingeschaltet. Das Oberhaupt der Kirche, Erzbischof Stefan,..

veröffentlicht am 23.05.24 um 13:22