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10 Jahre in der EU reichen der bulgarischen Wirtschaft nicht aus, um sich aufrichten zu können

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Ohne Fanfaren und viel Lärm begeht Bulgarien in diesem Jahr sein zehnjähriges EU-Beitrittsjubiläum. Dass es dabei nicht gerade festlich zugeht, hat vielerlei Gründe. Der wichtigste für den Großteil der Bulgaren ist, dass Brüssel trotz der enorm großen Hoffnungen und Erwartungen den ärmsten Bürgern innerhalb der EU weder per Zauberstab zu größerem Wohlstand verhelfen konnte, noch die unbedachten Handlungen und Veruntreuungen seitens bulgarischer Politiker unterbinden konnte, und noch Absatzmärkte und eine lichte Zukunft für die bulgarischen Industrie- und Landwirtschaftserzeugnisse sichern konnte.

All diese Träume sind zerplatzt. Trotzdem hat sich im Land einiges getan. Zum einen sieht es jetzt viel moderner aus. Zum anderen wird aber umso deutlicher, dass es in den führenden Industriezweigen weit hinter den anderen Ländern hinterherhinkt. Es gibt keine Business-Klassierung weltweit, in der Bulgarien in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht  schlecht abschneiden würde. Mit Ausnahme von Rumänien ist es das einzige EU-Land, das unter der Sonderaufsicht von Brüssel steht. Und all das vor dem Hintergrund von Milliarden Euro, die Bulgarien durch unterschiedliche EU-Förderprogramme zur Verfügung gestellt wurden. Dieses Geld scheint aber nur auf den ersten Blick viel zu sein, da Bulgarien zugleich auch Mitgliedsbeiträge in Milliardenhöhe in den Haushalt der Europäischen Union einzahlt und parallel dazu auch viel Geld in die Co-Finanzierung europäischer Projekte steckt.

Die bulgarische Wirtschaft bleibt das Schlusslicht in Europa, sowohl was Leistungsvergütung als auch Qualität und Innovationen anbelangt. Nicht etwa, weil Bulgarien dies wollte, aber es kann nicht das nötige Geld und den Willen aufbringen, um das zu ändern. In den ersten Jahren nach der Wende von Totalitarismus zu Demokratie und Marktwirtschaft wurde alles, was in der Industrie einigermaßen brauchbar war, zu Spottpreisen an dubiose Käufer veräußert. Ungeachtet aller Maßnahmen der damaligen Behörden musste der Staat schließlich bankrott erklärt werden, da er außerstande war, seine zu kommunistischen Zeiten angehäuften Schulden zu begleichen. Jene Wirtschaftsaktiva, die nicht weiter verwendet werden konnten oder keinen Absatz fanden, haben allmählich das Zeitliche gesegnet. Übrig blieben eine verstümmelte Wirtschaft, etwa Zehntausend Superreiche und 7 Millionen arme Bulgaren. Letztere sollten noch erfahren, dass der Mangel an Bildung, Qualifikation und guter Gesundheitsfürsorge noch schlimmer ist als Armut, weil sie viel Geld kosten.

Als wären Massenkorruption, niedrige Qualifikation und unausrottbare Kriminalität nicht schon schlimm genug, fanden sich die Bulgaren auch noch als die am schlechtesten bezahlten Europäer wieder, die so gut wie über kein Investitionskapital verfügen – die Paläste und Prachtbauten der Neureichen, ihre Privatjets, Yachten und Limousinen nicht mitgerechnet, welche selbst wohlhabende Europäer in Staunen versetzen. An Geld scheint es also nicht zu mangeln, nur mangelt es an passenden Akteuren und Motiven, es in die nationale Wirtschaft investieren, weil dieses Geld zumeist aus Drogen- und Menschenschmuggel, Machtmissbrauch und Einflusshandel stammt.

Die bulgarische Wirtschaft macht Fortschritte, aber in einem unbefriedigenden Tempo. In zehn Jahren EU-Mitgliedschaft ist das BIP pro Kopf der Bevölkerung um lediglich 800 Euro gestiegen, mit Mühe und Not ist der monatliche Durchschnittslohn letztes Jahr auf 500 Euro geklettert.

Die Bulgaren altern und werden immer weniger. Zwei Millionen sind bereits ausgewandert, die Sterblichkeitsrate ist höher als die Zahl der Geburten. Die Politiker sehen das aber anders: das BIP liege über dem EU-durschnitt, das Staatshaushalt 2016 weise einen Budgetüberschuss auf. Das mag zwar stimmen, aber: die Durchschnittsrente in Bulgarien beträgt 160 Euro, die monatlichen Heizungskosten liegen bei ca. 100 Euro und 2 Millionen Bulgaren führen ein Dasein unter der Armutsgrenze.

Experten und Beobachter sind sich einig, dass zehn Jahre für die Ansammlung einer kritischen Kapitalmasse nicht ausreichen, um ein größeres BIP-Wachstum und einen höheren Lebensstandard zu generieren. Bedauerlicherweise mangelt es an bulgarischem Kapital und die Auslandsinvestoren sind extrem skeptisch, vorsichtig und auf ihre Mobilität bedacht, damit sie das Land so schnell wie möglich verlassen können, falls es ungemütlich werden sollte.

Falls es wie bisher weiter geht, wird die Wirtschaft Bulgariens noch lange im großen und stabilen Business außen vor bleiben, egal ob das Land EU-Mitglied ist oder nicht. Bleibt nur zu hoffen, dass sich in den nächsten zehn Jahren in der EU und in Bulgarien etwas Positives tut – sowohl für den bulgarischen Staat als auch für dessen arme Bürger.

Übersetzung: Rossiza Radulowa



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