Sendung auf Deutsch
Textgröße
Bulgarischer Nationaler Rundfunk © 2024 Alle Rechte vorbehalten

Gericht senkt Mindestlohn, Regierung hebt ihn an

Die Indexierung der Löhne und Gehälter müsse an die Produktivität gekoppelt werden, so die Arbeitgeber.
Foto: BGNES

Das Oberste Verwaltungsgericht hat den Regierungsbeschluss über den Mindestlohn von 230 Euro ab 1. Januar 2017 aufgehoben. Bis dato lag der Mindestlohn bei 210 Euro. Gegen das Urteil kann in vierzehntägiger Frist Berufung eingelegt werden. Fast zeitgleich stellte die Regierung offiziell bis 2020 die alljährliche Anhebung des Mindestlohns um 25 Euro pro Jahr in Aussicht. Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass der Regierungsbeschluss vorab nicht mit allen Sozialpartnern, konkret mit den Arbeitgeberorganisationen besprochen worden sei. Jetzt wird die Regierung gegen dieses Urteil in Berufung gehen, die Arbeitgeber von der Rechtmäßigkeit des Beschlusses überzeugen und diesen erneut bestätigen. Zum Schluss kommt heraus, dass das Gericht den Mindestlohn senkt, die Regierung ihn anhebt.

Der auf den ersten Blick ganz normale Rechtsstreit steht stellvertretend für die bulgarische Volkswirtschaft und ihre Probleme. Laut offiziellen Angaben beziehen zwölf Prozent der Beschäftigten im Land den Mindestlohn, für den sie die entsprechenden Versicherungsbeiträge abführen. Ihre Reallöhne liegen jedoch deutlich höher und werden unter dem Tisch bar auf die Hand gezahlt, zu Lasten der Versicherungssysteme. Man sagt sich: "Lieber mehr Geld heute, als eine höhere Rente morgen. Wer weiß, ob ich überhaupt so alt werde." Für dieses Gebaren eines Großteils der Beschäftigten in Bulgarien gibt es eine Erklärung. Der Mindestlohn ist so gering, dass niemand vernünftig damit leben könnte. Er reicht nicht einmal, um alle Nebenkosten eines normalen bulgarischen Haushalts, plus Lebensmittel und Transport zu bezahlen. Von einem Auto, Reisen, Markenkleidung, Kultur und Büchern ganz zu schweigen.

Andererseits sind die Arbeitgeber nicht gewillt, draufzuzahlen, da ihnen diese Sozialabgaben sehr zur Last fallen. Experten beziffern sie mit 40 Prozent des Reallohns, d.h. ein Gehalt von 1.000 Euro kostet dem Arbeitgeber 1.400 Euro. Das ist unangemessen und für viele kleine und mittlere bulgarische Betriebe nicht tragbar. Deshalb ist das Business gegen die alljährliche automatische Anhebung des Mindestlohns, wie es die Regierung plant. Das verheißt alljährlich schwierige Verhandlungen und stellt die auf dem Papier guten Absichten des Kabinetts in Frage. Zumal die Unternehmen mit Personalkürzungen und mehr Arbeitslosigkeit drohen, falls die Regierung ihre Pläne umsetzen sollte. Die Indexierung der Löhne und Gehälter müsse an die Produktivität gekoppelt werden, so die Arbeitgeber.

Andererseits kurbelt der steigende Mindestlohn den Konsum an, und damit den wichtigsten Wachstumsmotor der letzten und vermutlich auch der kommenden Jahre. Jetzt muss die Regierung die Unternehmen mit konkreten Maßnahmen überzeugen, dass dieses auf den ersten Blick unvorteilhafte Geschäft gewinnbringend ist. Was genau die Regierung den Arbeitgebern vorschlagen will, ist unklar, da die Ansprüche der Geschäftskreise zahlreich und das Kabinett entscheiden muss, welche im Interesse der Gesellschaft sind.

Übersetzung; Christine Christov



Последвайте ни и в Google News Showcase, за да научите най-важното от деня!

mehr aus dieser Rubrik…

Bulgarien verzeichnet Anfang 2024 schwaches Wirtschaftswachstum

Im ersten Quartal 2024 ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum um 1,8 Prozent gewachsen. Die ersten Prognosen gingen von einem Wachstum von 1,7 Prozent aus, so das Nationale Statistikamt. Das..

veröffentlicht am 07.06.24 um 12:46
Sonja Miekley

Deutsche Unternehmen besorgt über politische Instabilität in Bulgarien

89 Prozent der deutschen Unternehmen würden wieder in Bulgarien investieren, während es ein Jahr zuvor noch 92 Prozent waren.  Dies teilte Sonja  Miekley , Geschäftsführerin der Deutsch-Bulgarischen Industrie- und Handelskammer, nach der jüngsten..

veröffentlicht am 07.06.24 um 11:57

Konkurs der FTI Group bedroht den Sommerurlaub deutscher Urlauber

Der Konkurs des drittgrößten Reiseveranstalters in Europa, der deutschen FTI Group, wird den Urlaub von fast 20 000 Deutschen in Bulgarien beeinträchtigen, berichtete die Website TravelNews und zitierte den Verband der Incoming-Agenturen in Bulgarien,..

veröffentlicht am 05.06.24 um 12:18