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Ein Haushaltsplan wie ein reiche und appetitliche Pizza

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In schwierigeren Zeiten hatte der damalige Finanzminister Simeon Djankow den Haushalt mit einer mageren fleischlosen Pizza verglichen; nunmehr gleicht laut Vizepremier Waleri Simeonow (l.) der Haushalt des amtierenden Finanzministers Wladislaw Goranow (r.) einer „reichen Pizza alla calzone“.
Foto: BTA

Die bulgarische Regierung billigte den vom Finanzministerium vorgelegten Haushaltsentwurf für kommendes Jahr. Nun wird das Parlament das Sagen haben und es verabschieden. Überraschungen sind keine zu erwarten, denn die regierende Koalition, bestehend aus der GERB-Partei und den Nationalisten, sitzt fest im Sattel und pocht auf seine Parlamentsmehrheit. Diese verabschiedet ohne sonderliche Veränderungen alles, was die Regierung vorlegt. Die linke Opposition hat einen alternativen Haushalt aufgestellt, den sie stolz als „sozial“ und „gerecht“ proklamiert, doch er hat praktisch keine Chance Gesetzeskraft zu erlangen.

Übrigens beansprucht auch der Haushaltsplan der Regierung „sozialer“ als bisher zu sein. Nicht zufällig verweisen die Zahlenjongleure der Haushaltsmittel auf vier konkrete Bereiche im Entwurf: Bildung, Verteidigung und Sicherheit, sozialer Bereich sowie Gesundheitsfürsorge. In diese sollen 1,6 Milliarden Euro mehr einfließen, als 2017. Das ist kein geringer Anstieg, hält man sich vor Augen, dass sich die öffentlichen Ausgaben auf insgesamt 20 Milliarden Euro belaufen. All das ist vor allem der guten Form der bulgarischen Wirtschaft zu verdanken, in der sie sich derzeit befindet und aller Wahrscheinlichkeit nach auch im kommenden Jahr befinden wird. Sie hat mehr als das löbliche Wachstum von 4 Prozent erwirtschaftet.

Und so sollen die Lehrergehälter um weitere 15 Prozent ansteigen; mehr Geld wird es auch für die Armee und die Polizei geben; auch die Gesundheitsfürsorge gehört zu den bevorzugten Bereichen – sie solle in den Genuss von 300 Millionen Euro mehr kommen. Die Renten ihrerseits sollen um 3,5 Prozent steigen, wie auch der Mindestlohn, der dann bei umgerechnet 260 Euro monatlich liegen wird. Und das alles wird möglich sein, ohne die niedrige Einheitssteuer von 10 Prozent anzutasten, die für alle Sphären gilt. Es sollen keine neuen Staatsanleihen gemacht werden und das Defizit soll auch nicht erhöht werden, das mit einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) veranschlagt wird. Man schaffte es ferner, der Versuchung zu wiederstehen, einen Großteil des BIP mittels des Haushalts in öffentliche Ausgaben einfließen zu lassen. Und so werden in den Taschen der Bürger und den Kassen der Geschäftsleute mehr Finanzmittel für Verbrauch und Investitionen bleiben. In schwierigeren Zeiten hatte der damalige Finanzminister Simeon Djankow den Haushalt mit einer mageren fleischlosen Pizza verglichen; nunmehr spricht Vizepremier Waleri Simeonow von einer üppigeren Pizza alla „Calzone“.

So weit, so gut, doch nicht alle sind mit dem neuen Haushalt zufrieden, vor allem die Gewerkschaften nicht. Selbst in wirtschaftlich verhältnismäßig guten Zeiten versuchen sie noch mehr herauszuschlagen. Jüngst organisierten sie Massenproteste vor dem Regierungsgebäude in Sofia mit der Forderung nach höheren Löhnen und Gehältern. Die Lohnfrage hat sich übrigens allgemein zugespitzt und erfasst mehr und mehr Bereiche. Selbst die Militärs und die Polizei wollen mehr Geld. Laut einer Reihe von Wirtschaftsbeobachtern und Experten habe die bulgarische Wirtschaft fast die Grenze ihrer Wachstumsmöglichkeiten erreicht und ist nahe dran, heiß zu laufen. Zusätzlich können also keine neuen Finanzen aufgebracht werden, vorausgesetzt es werden keine neuen Staatsanleihen aufgenommen. Das ist jedoch nicht vorgesehen und keiner empfiehlt einen solchen Schritt angesichts der sich abzeichnenden Möglichkeit, dass Bulgarien endlich in den Wechselkursmechanismus II (ERM II) einbezogen wird – d.h. der Euro klopft an der Tür. Der ERM II verlangt von der Finanzpolitik des Staates bestimmte Einschränkungen, vor allem was das Haushaltsdefizit anbelangt. Allgemein ist man der Ansicht, dass die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft Bulgariens in der ersten Hälfte kommenden Jahres den Bestrebungen der bulgarischen Politiker, das Land in die Eurozone zu steuern, einen kräftigen Aufwind verschaffen wird.

Angesichts dieses recht positiven Finanzbildes wird die fast unbemerkt gebliebene drastische Senkung der ausländischen Direktinvestitionen unter den Teppich gekehrt. Dabei sind sie einer der Hauptmechanismen zur Verringerung der Arbeitslosigkeit und zur Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts, da die heimischen Unternehmer hinsichtlich des Kapitals recht schwach auf der Brust sind und nur schwer Mittel zur Erhöhung der Effektivität in den verschiedenen Industriezweigen und anderen Bereichen aufbringen. Hinzu kommt der zunehmend größer werdende Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Das wird als grundlegende Hürde vor der weiteren Entwicklung der heimischen Unternehmen angesehen. Die Arbeitslosenrate bewegt sich einem Minimum von 6 Prozent zu, doch aus den Reihen der verbleibenden Arbeitslosen können keine zuverlässigen Arbeitskräfte erwartet werden, weil das Gros von ihnen keinerlei Qualifikationen und Fähigkeiten besitzt. Jene mit Ausbildung und Können sind seit langem in Bulgarien oder im Ausland angeworben worden.

Unterm Strich kommt heraus, dass der Haushalt 2018 gut auf die Lösung wichtiger nationaler Probleme ausgerichtet ist. Bleibt zu hoffen, dass unangenehme Überraschungen ausbleiben, die von den internationalen Märkten ausgehen können, und dass sich der Arbeitsmarkt auf einem höheren Niveau stabilisiert, das für die modernen technologischen Industrien notwendig ist.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow



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