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Gewalt gegen Frauen – ein unterschätztes und von ideologischen Kontroversen verdrängtes Problem in Bulgarien

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Wird die Istanbulkonvention das erste Dokument sein, dessen Ratifizierung durch alle EU-Länder automatisch zur juristischen Anerkennung des Begriffes „Geschlechtsidentität“ führen wird? Gibt es Möglichkeiten, die Konvention zu revidieren und die Gender-Ideologie daraus auszuschließen? Das waren die Hauptfragen, mit denen die EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung Vera Jourova während ihrer Visite in Sofia von Vertretern von Bürgerorganisationen empfangen wurde. Fragen dieser Art und die Befürchtung, über die Istanbulkonvention könnte eine Ideologie eingeführt werden, die eingeschlechtliche Ehen fördert und die Existenz eines „dritten Geschlechts“ bejaht, haben dazu geführt, dass sich die bulgarische Volksversammlung auf unbestimmte Zeit nicht mit dem Dokument befassen wird. Ungeachtet der in den Medien erscheinenden Horrorberichte über Gewalt gegen Frauen herrschen in unserer Gesellschaft Angst und Misstrauen in Bezug auf das gesamteuropäische Dokument zum Schutz vor häuslicher Gewalt.

Das Thema Geschlechterdiskriminierung und Überwindung der Vorurteile und Stereotypen gehört zu den größten Herausforderungen unserer Gegenwart, weil es das Schicksal Tausender Menschen betrifft und direkte Auswirkungen auf den Wirtschaftsstatus unserer Gesellschaft hat. Vor diesem Hintergrund fand in Sofia ein Diskussionstreffen zwischen einem breiten Kreis von Bürgerorganisationsvertretern und der EU-Kommissarin Vera Jourova statt. „Als wir in Bulgarien die Debatten über die Istanbulkonvention starteten, wollte ich schnell wieder nach Sofia zurückkehren, um mir die Leute anzuhören und zu verstehen, worin das Missverständnis liegt, wegen dem sie der Istanbulkonvention derart kritisch begegnen“, sagte die EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung.

Das ist praktisch eine Gesetzgebung, die darauf abzielt, Frauen und Kindern zu helfen, für die ein hohes Risiko besteht, Opfer von Gewalt zu werden. Justiz, Verbraucherfragen, Geschlechtergleichheit und Schutz personenbezogener Daten sind fundamentale Grundrechte. Die Bekämpfung häuslicher Gewalt macht einen wichtigen Teil meiner Arbeit aus, da wir an allen Fronten arbeiten müssen. Wir müssen der Statistik Beachtung schenken, die belegt, dass in Europa eine von drei Frauen im Alter zwischen 8 und 50 Jahren bereits mit Gewalt konfrontiert worden ist. Im Laufe der Zeit haben sich die Dinge nicht sonderlich geändert. Wir müssen dagegen ankämpfen, weil es das Ergebnis schädlicher Stereotypen in der Denkweise ist. Immer, wenn ich mich mit Männern darüber unterhalte, bin ich glücklich, wenn ich ihre Unterstützung erfahre. Viele teilen die allgemeine Auffassung, dass auch ihre Töchter Opfer von Gewalt werden könnten. Ich bin Juristin von Beruf und weiß mit Gesetzen umzugehen. Es wundert mich, was für eine Ideologie es in unseren Bemühungen zur Abschaffung von Gewalt gegenüber den Schwächeren geben kann – Frauen und Kinder, die in der Familie Opfer von Übergriffen werden. Was für eine Ideologie gibt es in unseren Bemühungen, schreckliche Erscheinungen in Europa abzuschaffen wie Zwangssterilisation, Zwangsabtreibungen, traditionelle Aggressionsformen wie Drohungen, Beleidigungen, Schläge und Prügel? Natürlich steht es jedem nationalen Parlament frei, die Istanbulkonvention zu ratifizieren oder nicht. Falls es dieses Dokument nicht ratifiziert, sollte es entschieden, was für andere Maßnahmen, legislative oder anderer Art, getroffen werden müssen, damit Frauen und Kindern mit den Mechanismen des Staates ein sicherer Schutz gewährleistet wird“, sagte Vera Jourova.

Unter den Vertretern der Bürgerorganisationen, die sich am Treffen mit EU-Kommissarin Jourova beteiligt haben, war auch Stanimira Chadschimitowa, die seit über 20 Jahren die Stiftung „Gender Projekt in Bulgarien“ leitet. Ihren Worten zufolge liegt das Problem nicht so sehr in der Istanbulkonvention, sondern in diesem Begriff, den viele Kollegen von ihr als Gender-Ideologie bezeichnen.

Meine Organisation hatte in all den Jahren keinerlei Problem mit dem Begriff Gender, weil wir mit den offiziellen Politikern der EU, der UNO und Bulgariens arbeiten. Es können aber immer Leute auftauchen, die ihre eigenen Ideologien schaffen und das eine oder andere Dokument auf ihre Art auslegen. Das ist allerdings nicht die Politik der EU. Mein Appell ist: Wir sollten alle einen Weg finden, um den Leuten zu erklären, dass „gender equality“ lediglich Gleichstellung von Frauen und Männern bedeutet und weiter nichts. Das betrifft alles, was die Rechte der Mädchen angeht, Berufe auszuüben, die sich nicht allein auf die Dienstleistungsbranche begrenzen, sondern dass sie auch im Sektor der Spitzentechnologien arbeiten können. Das muss von uns gefördert werden, damit Frauen ein gutes Einkommen haben“, erklärte Stanimira Chadschimitowa.

Übersetzung: Rossiza Radulowa



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