Am 12. Juli 1934 wurde eine der beständigsten Organisation behinderter Menschen in unserm Land gegründet – der Bulgarische Gehörlosenbund. Seine Mitglieder geben die Zeitung „Tischina“ (zu Deutsch „Stille“) heraus, beteiligen sich an unterschiedlichen Programmen, Festivals und internationalen Kultur-, Sport- und Musikevents. Sie verfügen über eine Jugendorganisation und ein Berufsbildungszentrum, organisieren Angel- und Schachwettbewerbe. Dabei verbuchen sie zweifellose Erfolge, doch es mangelt auch nicht an Hindernissen.
„Eines der größten Probleme für die gehörlosen Menschen und für unsere Gesellschaft als Ganzes ist die Anerkennung der Gebärdensprache als Amtssprache“, sagt der Vorsitzende des Gehörlosenbunds in Bulgarien Nikolaj Ninow. „Dieses Problem sollte auf sämtlichen Ebenen, in der Regierung und den Ministerien debattiert werden und auch mit, den Organisationen, die sich für die gehörlosen Menschen und ihre Sprache einsetzen. Denn bislang ist die Gebärdensprache eben deswegen nicht offiziell anerkannt worden, weil nicht ausreichend darüber gesprochen wird und die Regierung sich nicht ernsthaft damit engagiert hat.“
Jahrelang agiert der Bulgarische Gehörlosenbund gemeinsam mit anderen national vertretenen Organisationen für die Anerkennung und Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2012. Das schafft eine Grundlage für breitere und engagiertere Debatten über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die UN-Behindertenrechtskonvention sieht auch die Legitimierung der Gebärdensprache vor. 2018 hat die Stiftung „Deaf Unlimited“ (Gehörlose ohne Grenzen) in Kooperation mit dem Bildungsministerium das Lehrbuch „Theoretische Beschreibung der Grammatik der bulgarischen Gebärdensprache“ und ein Wörterbuch der bulgarischen Gebärdensprache herausgebracht.
„Ein solches Wörterbuch war seit langem fällig“, meint Nikolaj Ninow. „Dieses wirklich großangelegte nationale Projekt, dem sich extrem viele gehörlose Menschen, Experten und Gebärdensprache- Spezialisten angeschlossen haben, hat die Durchführung einer Studie aus linguistischer und Expertensicht ermöglicht und zur Erstellung dieses Wörterbuchs geführt. Sein Ziel ist, alle Gebärden zu unifizieren und einen einheitlichen Sprachstandard zu schaffen.“
Ein weiteres großes Problem, das den gehörlosen Menschen in Bulgarien zu schaffen macht, ist die Kommunikation. Die Klanginformationen, die ihnen nicht zugänglich sind, schaffen Voraussetzungen für ihre Isolierung. Sie fühlen sich nicht ausreichend informiert und haben keine klare Vorstellung über die aktuellen Geschehnisse und vor allem was bevorsteht. Das trifft auch für die Hochschulen zu, wo sich der Großteil der gehörlosen Studenten auf Videos und Lehrbücher verlässt, nicht aber direkt auf ihre Professoren als Informationsquelle.
„Es ist eine spezifische Informationsübertragung notwendig, die nur über hochqualifizierte Gebärdensprachendolmetscher erfolgen kann“, sagt Nikolaj Ninow weiter. „Es gibt aber nur sehr wenige aktive Gebärdensprachendolmetscher in Bulgarien. Sie sind höchstens 30 an der Zahl. Der Beruf ist reglementiert, doch die Finanzierung ist fast gleich Null. Es ist eine staatliche Unterstützung nötig, da Gebärdensprachendolmetscher den mangelnden Zugang zu Informationen wieder ausgleichen können“, meint Nikolaj Ninow.
Gehörlose und andere Menschen können die bulgarische Gebärdensprache „Gestenmimik“ mit Hilfe eines Computerprogramms erlernen, wobei ihnen verschiedene Wörterbücher und Lehrvideos zur Verfügung stehen. Wie sieht nach Ansicht von Nikolaj Ninow die Zukunft dieser anmutigen Sprache aus?
„Die Anmut der Gebärdensprache liegt darin, dass die Umsetzung der Sprachbewegungen eine echte Kunst ist. Eine Kunst, die der Pantomime ähnelt. Es ist durchaus kein Zufall, dass die besten Pantomimen der Welt taubstumm sind. Die Gebärdensprache hat das Potential, zunehmend popularisiert zu werden und die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich zu ziehen. Wir sind davon überzeugt, dass dies über die Legitimierung der Gebärdensprache erfolgen kann. Dann wird sich ihr Potential viel umfassender entfalten können“, sagte zum Abschluss der Vorsitzende des Bulgarischen Gehörlosenbunds Nikolaj Ninow.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: Privatarchiv und Dessislawa Semkowska
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