Als die verfassungsgebende Versammlung in Weliko Tarnowo am 3. April 1879 Sofia einmütig zur Hauptstadt Bulgariens erklärte, hatte die Stadt ca. 11.700 Einwohner, zwei Schulen, zehn Gasthäuser und an die 3.000 Häuser. Im gleichen Jahr traf der tschechische Historiker Konstantin Jireček in Sofia ein. Seine Eindrücke von der Stadt zu jener Zeit fasste er folgendermaßen zusammen: „Krumme Straßen zwischen niedrigen Häusern aus Holz und Lehm, orientalische Läden, fürchterlicher Schlamm, riesige Pfützen. Ein neugeborenes östliches Eldorado, das viele Abenteurer aus Ost und West angezogen hat.“
Der soeben befreite bulgarische Staat zog aber nicht nur Abenteurer an. Wir verdanken die Erfolge in Bereichen wie Bildung, Wissenschaft, Kultur und Städtebau den Dutzenden jungen Intellektuellen, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts nach Bulgarien kamen. Die wohl meisten davon waren Tschechen. Einer von ihnen wurde damit beauftragt, den Stadtbauplan von Sofia auszuarbeiten. Architektin Walentina Warbanowa, die ein Buch über den tschechischen Beitrag zum kulturhistorischen Erbe Bulgariens geschrieben hat, erzählt:
„Gemeint ist Antonín Kolář. Er ist unmittelbar nach der Befreiung Bulgariens hier eingetroffen, hatte zuvor aber ein Jahr lang in Bukarest gelebt, wo er den Tschechen Jiří Prošek kennengelernt und mit ihm zusammengearbeitet hat. Prošek, für den Bulgarien ebenfalls zur zweiten Wahlheimat wurde, hat ebenfalls extrem viel zur Entwicklung Bulgariens beigetragen. Doch zurück zu Antonín Kolář. Er war ein hochqualifizierter, vielbelesener Kosmopolit. Mit 18 Jahren schloss er sich einem Aufstand in Polen an, hat später in Belgrad gearbeitet und in Wien und Prag studiert. Vermutlich hat Prošek eine wichtige Rolle dabei gespielt, dass Antonín Kolář zum Stadtarchitekten Sofias ernannt wurde. Die Aufgabe, die er zu lösen hatte, war aber sehr schwer, denn es mussten alte Gebäude abgerissen und neue Straßen angelegt werden. Der erste Stadtbauplan Sofias wurde von ihm begonnen, wurde aber erst im Jahr 1881 von einem anderen Stadtarchitekten abgesegnet – von Likurgo Amadey. Antonín Kolář wiederum wurde zum Gouverneursarchitekten befördert, denn er fand Anerkennung bei der provisorischen russischen Verwaltung. Antonín Kolář ist Autor des ersten Hauptbahnhofgebäudes, dessen originelles Projekt in der Ausstellung gesehen werden kann, die dem 140. Jubiläum seit der Berufung von Antonín Kolář zum ersten hauptstädtischen Architekten gewidmet ist. Im Laufe von 21 Jahren hat Antonín Kolář für Sofia gearbeitet und hat viele bedeutende Bauwerke entworfen.“
Architekt Antonín Kolář setzte den Anfang der modernen Stadtplanung. Zugleich hat er auch etliche emblematische Grünanlagen und Gebäude in Sofia entworfen und gebaut, darunter den Hauptbahnhof, den Stadtgarten, das Denkmal des Freiheitsapostels Wassil Lewski, das Kriegsministerium, den Offiziersklub, die Militärakademie u.a. Zu seinen ersten Aufträgen zählte der Bau des seinerzeit modernsten Hotels in diesem Teil Europas – des „Grand Hotel Bulgarien“. Es liegt in unmittelbarer Nähe des Zarenpalasts und wurde in drei Jahren fertiggestellt (1882-1885). Zu den Gästen des Hotels zählten viele Politiker, Militärs, Diplomaten, Journalisten, prominente Musiker, Schriftsteller und Schauspieler. Anbei befand sich auch das von Antonín Kolář projektierte „Café Bulgarien“, das vor dem Ersten Weltkrieg zum öffentlichen und kulturellen Zentrum der bulgarischen Hauptstadt avanciert ist. Auf die Stimmen seiner Besucher, der Intellektuellen und Vertreter des öffentlichen Lebens, hörten sowohl die Berater des Zaren als auch die Führungspolitiker.
Wenn wir das Wirken des ersten Sofioter Architekten genauer betrachten, können wir sehen, wie sich Sofia in zwei-drei Jahrzehnten aus einer zurückgebliebenen Ortschaft im osmanischen Reich in eine europäische Stadt verwandelt hat. Aus eben diesem Grund ist die besagte Ausstellung im Regionalen Geschichtsmuseum in Sofia so sehenswert. Initiiert wurde sie von der Bulgarischen Entwicklungsbank, deren Sitz sich kurioserweise im Gebäude des „Grand Hotel Bulgarien“ befindet. Das Gebäude wurde restauriert und in ein modernes Bauwerk verwandelt, wobei dem Stil des Architekten und der Erhaltung des Kulturerbes Rechnung getragen wurde.
„Das ist ein Vorbild, das befolgt werden sollte. Es ist weder einfach noch schnell oder billig, aber das Werk des ersten Stadtarchitekten ist inspirierend und ein Ergebnis seines Professionalismus und organisatorischen Talents“, sagte in diesem Zusammenhang bei der Eröffnung der Ausstellung der Sofioter Vize-Bürgermeister Dr. Todor Tschobanow.
Die Ausstellung steht allen Besuchern bis zum 3. Oktober im Regionalen Geschichtsmuseum Sofias offen.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: stara-sofia.com
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