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Bulgarien feiert 110 Jahre Unabhängigkeit

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Fürst Ferdinand I. und die bulgarische politische Elite bei der Unabhängigkeitserklärung am 22. September 1908

Die Geschichte Bulgariens ist voll von Daten und Ereignissen, die Respekt und Verehrung von uns allen verdienen. Es ist kein Zufall, dass einige dieser Daten und Ereignissen auch für offizielle Feiertage erklärt worden sind. Ein solcher Feiertag ist der 22. September – der Tag, an dem vor genau 110 Jahren die Bulgaren ihre Unabhängigkeit endgültig erkämpft haben.

Werfen wir aber zunächst einen Blick auf die Vorgeschichte. Der russisch-türkische Krieg von 1877-1878 brachte die lang ersehnte Freiheit Bulgariens von der annährend 500jährigen türkischen Fremdherrschaft. Im Ergebnis des Krieges, der von Russland gewonnen wurde, unterzeichneten Russland und das Osmanische Reich am 3. März 1878 (19. Februar nach altem Kalender) in San Stefano bei Istanbul einen Friedensvertrag, der den Grundstein für die Neugründung des bulgarischen Staates setzte. Doch der Friedensvertrag von San Stefano war lediglich ein Vorfrieden.

„Der Berliner Kongress von 1878“, Gemälde von Anton von Werner

Die endgültigen Entscheidungen fielen auf dem Berliner Kongress der Großmächte, der im Juni und Juli 1878 durchgeführt wurde. Nach ihm wurde das Bulgarien von San Stefano in drei Teile zerrissen, wobei man nur einem Teil den Namen Bulgarien zugestehen wollte. Das heutige Nordbulgarien mit dem Gebiet von Sofia sollte nach den Kongressbeschlüssen ein autonomes und tributpflichtiges, also ein türkisches Lehnsfürstentum bilden. Südbulgarien sollte unter der Bezeichnung Ostrumelien eine vom Osmanischen Reich halbabhängige Provinz mit ausgedehnter administrativer Autonomie bleiben. Der dritte Teil Bulgariens von San Stefano, also das ganze Mazedonien, wurde wieder der direkten und uneingeschränkten Autorität des Sultans unterstellt. Faktisch blieb nur ein Teil des bulgarischen Volkes mit einem eigenen, halbwegs unabhängigen Staatswesen frei. Die Bulgaren, die von der Beschlussfassung ausgeschlossen waren, konnten und wollten das nicht hinnehmen. So begann der Kampf für die Unabhängigkeit Bulgariens, der am 6. September 1885 mit der Vereinigung von Fürstentum Bulgarien und Ostrumelien seinen ersten großen Erfolg verzeichnete. Endgültig unabhängig vom Osmanischen Reich wurde das Land doch erst 30 Jahre nach seiner Befreiung.

Die Regierung von Alexander Malinow, v.l.n.r.: Andrej Ljaptschew, Gen. Danail Nikolaew, Nikola Muschanow, Alexander Malinow, Dr. Todor Krastew, Gen. Stefan Paprikow, Iwan Salabaschew und Mihail Takew

Im Sommer des Jahres 1908 brach in Istanbul, der Hauptstadt des Osmanischen Reiches, der sogenannte Jungtürkenaufstand aus. Damit war das Reich stark mit sich selbst beschäftigt. Die bulgarische Regierung unter Alexander Malinow wusste das für sich zu nutzen und wartete nur auf einen passenden Anlass für eine Unabhängigkeitserklärung. Diesen gab Österreich-Ungarn, dass sich die Gebiete von Bosnien-Herzegowina einverleibte, die es nach dem russisch-türkischen Krieg lediglich regierte. Das war eine Verletzung des Berliner Vertrages und die Großmächte ließen ihre Wut weniger an Sofia, als an Wien aus.

So verlas der damalige Fürst Ferdinand am 22. September 1908 das historische Manifest an das Volk, mit dem Fürstentum Bulgarien seine Vasallen-Abhängigkeit offiziell abwarf und zum souveränen Königreich Bulgarien wurde. Damit begann das Dritte Bulgarische Reich als Nachfolger des Zweiten Bulgarischen Reiches. Nicht zufällig wurde die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens in der Kirche „Heilige 40 Märtyrer“ in der alten Reichshauptstadt Tarnowo verlesen.

Das Original des Manifestes im Nationalen Geschichtsmuseum in Sofia heute

Im Tonarchiv des Bulgarischen Nationalen Rundfunk haben wir eine Aufnahme des Tarnowoer Schauspielers Sawa Dimitrow, der im Rahmen der Feierlichkeiten an jedem 22. September seit 17 Jahren in die Rolle von Fürst Ferdinand schlüpft, um das historische Manifest zu verlesen, mit dem Bulgariens Unabhängigkeit erklärt wurde:

Sawa Dimitrow als Fürst Ferdinand

Am 19. Februar 1878 haben wir die Sklavenketten gebrochen, mit denen Bulgarien – einst so mächtig und so prächtig – Jahrhunderte lang gebunden war. Seit diesem Tage bis heute, ganze 30 Jahre lang arbeitete das bulgarische Volk –dem Gedenken und den Vermächtnissen seiner Freiheitskämpfer treu – unermüdlich daran, sein schönes Land einzurichten und es unter meiner Führung und der des Fürsten Alexander zu einem Staat zu machen, der dazu würdig ist, ein gleichwertiges Mitglied der Familie der zivilisierten Nationen zu sein. Mein Volk, das immer friedlich war, sehnt sich heute nach kulturellem und wirtschaftlichem Fortschritt und Wohlstand. Und daran sollte Bulgarien von nichts und niemandem gehindert werden. So ist der Wunsch unseres Volkes, so ist sein Wille. Unser unabhängiges Land stolpert aber in seiner normalen und friedlichen Entwicklung an Ketten, mit deren formellem Bruch zugleich auch die aufgetretene Abkühlung zwischen Bulgarien und der Türkei beseitigt wird. Ich und mein Volk begrüßen das politische Wiederaufleben der Türkei aufrichtig. Frei und völlig unabhängig voneinander werden Bulgarien und die Türkei alle Voraussetzungen dafür haben, freundschaftliche Beziehungen aufzubauen und sich der friedlichen inneren Entwicklung zu widmen. Begeistert bei dieser lichten Sache und um auf die staatlichen Bedürfnisse und den Wunsch des Volkes einzugehen, mit dem Segen des allmächtigen Gottes erkläre ich das wiedervereinte Bulgarien zum unabhängigen Königreich und zusammen mit meinem Volk hoffe ich auf das Mitgefühl der fortschrittlichen Welt und auf die Anerkennung der Großmächte. Es lebe das freie und unabhängige Bulgarien! Es lebe das bulgarische Volk!

Im hektischen und schweren Alltag der heutigen Zeit, in der das Denken vieler Bulgaren oft auf das bloße Überleben reduziert ist, denkt man an den Tag der Unabhängigkeit – wenn überhaupt – nur am Tag der Unabhängigkeit nach. Allerdings ist das ein wichtiger Akt, ein Höhepunkt einer Reihe von Ereignissen in der bulgarischen Geschichte im 19. Jahrhundert wie die Wiedergeburt, die Befreiung und die Vereinigung. Die Unabhängigkeitserklärung im Jahre 1908 erwies sich als ein gesamtbulgarisches Ereignis, das nur dank des großen Willens, des Enthusiasmus und der Einmütigkeit von Bevölkerung, Landesfürst und Politikern errungen werden konnte – alle Handlungen waren im Interesse des Landes und sprachen von Vernunft und Weitsichtigkeit – leider eine große Seltenheit bis in unsere Tage.

Übersetzung und Redaktion: Mihail Dimitrov

Fotos: Archiv und BGNES



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