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Frohe Weihnachten!

Weihnachtssänger segnen Haus und Hof

Wie viele Sterne am Himmel, soviel Gesundheit für dieses Haus…


Noch bevor die Bulgaren das Christentum annahmen, feierten sie in dieser Jahreszeit, nämlich die Wintersonnenwende, die man als die „Geburt des jungen Gottes“ bezeichnete.

Die Abendmahlzeit ist beendet und der Tisch abgeräumt. Die Mitternachtsstunde rückt heran. Der Hausherr geht auf den Hof, um nach dem Vieh zu schauen, während die Frauen das gewundene Ritualbrot und eine Kanne mit Wein auf den Tisch stellen. Dies deutet darauf hin, dass man Gäste erwartet. Es sollen die Weihnachtssänger kommen. Einst kündeten sie ihr Kommen mit Schüssen an. Jene, die das Feuer im Herd hüten, wecken dort, wo es sie gibt die künftige Braut, denn unter den Weihnachtssängern ist ihr künftiger Bräutigam.“

Diese Beschreibung von Heiligabend stammt vom bedeutenden bulgarischen Ethnographen Dimitar Marinow, der das Brauchtum und die Folklore in den Jahren unmittelbar nach der Neugründung des bulgarischen Staates 1878 erforscht hat. Er hielt die Erinnerungen von damals alten Männern fest, die in ihrer Jugend die Funktion der Anführer der Weihnachtssänger ausübten.

Diese Anführer kannten bestens die alten Bräuche und Lieder, die die Weihnachtssänger pflegten und darboten. Es gab viele solcher Lieder und die Rituale verliefen nach ganz strengen Regeln. Der Anführer der Weihnachtssänger stellte eine Art Vertreter der höheren Mächte dar und schlüpfte in die Rolle eines Priesters aus vorchristlichen Zeiten. Unmittelbar nach Mitternacht, wenn der neue Tag – der erste Weihnachtsfeiertag anbrach, versammelten sich die Weihnachtssänger vor dem Haus ihres Anführers und forderten ihn mit einem kurzen Lied auf, seiner Rolle gerecht zu werden:

Anführer, Herr!
Gott schickt sich an, dich zu besuchen,
und mit Ihm eine Engelschar.
Kannst du Ihn empfangen,
Ihn empfangen und bewirten.

Im gleichen Gesang wird die Antwort des Anführers der Weihnachtssänger übermittelt, er sei dazu bereit, da ihn Gott mit einer vollen Kornkammer beschenkt habe, wie auch mit 9 Fässern Wein und einem Fass voller Schnaps. Daraufhin bewirtet er die Weihnachtssänger, wie es danach auch alle Hausherren tun, die die Weihnachtssänger mit ihrem Anführer an der Spitze aufsuchen. Wenn das Dorf recht groß war, teilte der Anführer die Weihnachtssänger in Gruppen auf und wies ihnen die Höfe zu, die sie besuchen sollen. Jeder der jungen Männer bemühte sich, jener Gruppe zugerechnet zu werden, die das Gehöft aufsucht, in dem seine Angebetete lebt.

Der Anführer der Weihnachtssänger war an seinem Zepter zu erkennen, das aus einem verzweigten Ast bestand, der mit Äpfeln, Brezeln, Grünzeug, roten Garn und Münzen geschmückt war. Dieses Zepter symbolisierte den Weltenbaum. Jeder der Weihnachtssänger besaß seinerseits einen Hirtenstab; seine Fellmütze war mit Glasperlen, Tannenzweigen u.a. geschmückt. Die Weihnachtssänger begannen zu Mitternacht mit ihrer Runde durch das Dorf und besuchten bis zum Morgengrauen die einzelnen Häuser. Man glaubte, dass in diesen Stunden Vampire und andere dämonische Kräfte ihr Unwesen trieben. Mit ihren Liedern vertrieben die Weihnachtssänger jedoch diese bösen Geister und stellten das Sichtbare und das Unsichtbare der ersten Nacht des jungen Gottes unter ihren Schutz. Sie gingen von Haus zu Haus, segneten mit ihren Liedern die Bewohner, wie auch Haus und Vieh und übten einen verbalen Zauber für Fruchtbarkeit, Gesundheit und Familienbildung aus. Diese Rituale wurden einzig zu Weihnachten vollführt, wurden aber entsprechend in der Vorweihnachtszeit eingeübt. Das geschah jedoch im trauten Kreis der Weihnachtsänger.

Laut den Wissenschaftlern handelt es sich darum um ein Überbleibsel der Einführung der männlichen Jugendlichen in die Welt der Erwachsenen. Bei den Weihnachtssängern handelte es sich nämlich ausschließlich um Burschen im heiratsfähigen Alter, wie auch um junge Männer, die im Jahr über geheiratet hatten. Diese alten Bräuche standen auch in Verbindung mit dem Glauben an das Jenseits. In einer Reihe von Weihnachtsliedern ist von einem langen Weg die Rede, den die Weihnachtssänger beschreiten mussten. Es war Brauch, dass die Weihnachtssänger westlich des Dorfes aufbrachen und sich in Richtung Osten bewegten. Diese Bewegung, von West nach Ost, ist in den Traditionen der Völker die Bewegung vom Tod zum Leben, von der Dunkelheit zum Licht.

In einigen Regionen Bulgariens war es Brauch, dass die Weihnachtssänger von verkleideten Gestalten, meist als Greis und Greisin, begleitet wurden, die ulkige Späße vollführten. Auch gehörten zu den Weihnachtssängern Helfer, die die Geschenke trugen, die man den Weihnachtssängern überreichte. Einer sammelte die Brezel, ein anderer den Speck, die Würste und Schinken usw.

Am ersten Weihnachtstag war jegliche Arbeit untersagt. Alle gingen zum Festgottesdienst in die Kirche. Danach tanzte das ganze Dorf einen Reigen. Die von den Weihnachtssängern entgegengenommenen Brezeln wurden versteigert. Jeder Bursche bemühte sich, die Brezel zu erhalten, die seine Angebetete gebacken hatte. Die Weihnachtssänger versammelten sich zum Schluss im Hause ihres Anführers. In einigen Orten Bulgariens war es Brauch, dass die Weihnachtssänger auf dem Dorfplatz Wein an die Männer ausschenkten. Den ganzen Tag über konnte man im Dorf die Segenswünsche der Weihnachtssänger vernehmen, die allen Gesundheit, Fruchtbarkeit und Glück wünschten.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow

Foto: BGNES und Archiv

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