Einst hielten die Einwohner von Tarnowo die Damenmode europäischer Manier für unschicklich. Die Befreiung Bulgariens von der osmanischen Fremdherrschaft 1878 zog Ereignisse und Erscheinungen nach sich, die den weiteren zivilisatorischen Weg des neugegründeten Staates bestimmten. Mit der Verabschiedung der Verfassung von Tarnowo begann der Aufbau der bulgarischen Staatlichkeit. Immer mehr Bürger des Landes begrüßten Sitten, Kultur und Lebensweise, die aus dem alten Europa kamen. Tonangebend im jungen Staat wurde die alte bulgarische Reichshauptstadt Tarnowo.
„Während der Gründungsversammlung 1879, die zusammengekommen war, um die Verfassung des Landes zu verabschieden, wurde nicht nur der Grundstein des freien Bulgarien gelegt, sondern es fanden in der Stadt auch die erste Modenschau und das erste Liebesduell statt“, erzählte uns Todorka Nedewa vom Regionalen Geschichtsmuseum in Weliko Tarnowo. „Unter dem Einfluss Europas wurden das erste Blasorchester gegründet und von der örtlichen Laientruppe die erste Theatervorstellung unter freiem Himmel gegeben.“
In den ersten Jahren des wiedererstandenen Landes wurden auch die ersten Einflüsse europäischer Mode spürbar – auf den Straßen von Tarnowo flanierten elegante Damen und Kavaliere, gekleidet nach der neuesten französischen Mode.
Nach wie vor konnte man aber auch Bulgaren in althergebrachten Trachten sehen, die die neueste Mode anscheinend wenig kümmerte.
Die konservativsten Bürger lehnten sich jedoch entschieden gegen einige Modeerscheinungen auf, darunter die ausladenden langen Kleider mit tiefen Ausschnitten, Reifröcke, Rüschen und Puffärmel. Auch gegen Hüte mit Straußenfedern und Schleier war man aufgebracht.
In einem Artikel aus jener Zeit, veröffentlicht im Tageblatt „Borba“ ist zu lesen: „Wenn wir die neue Mode in Tarnowo mit der Bekleidung in anderen Städten vergleichen, gebührt Tarnowo der erste unrühmliche Platz, was die Vielfalt an Moden anbelangt. Man sollte es nicht glauben, aber es gibt Damen, noch dazu nicht wenige, die zylinderförmige Hüte in der Art alter türkischer oder albanischer Fes tragen. Wenn man die Maniküre der Fingernägel mit in Betracht zieht, könnte man meinen, dass die Frauen von Tarnowo sich wie Französinnen schminken, ihre Fingernägel wie die Türkinnen bemalen und Hüte tragen, die einer albanischen Festtracht würdig sind. Sollte es diesen Frauen an Scham fehlen, so ist es überaus verwunderlich, wie ihre Männer dies dulden. Das ist nicht unsere Kleidung, sondern ein buntes Gemisch, das die Frauen albern aussehen lässt und man sich zu Recht fragt, ob es Bulgarinnen, Europäerinnen, Türkinnen oder Albanerinnen sind. Aus diesem Grund ist das Eingreifen der Behörden dringendst erwünscht, alles andere ist Teufelswerk!“
Die damalige Presse empörte sich nicht nur über die Damenmode, die den Kritikern „einzig für Varietees zulässig“ erschien, sondern auch über die später aufgekommenen Kinematographen, Grammophone, Fußballspiele und „unzüchtigen“ Romane, die man als „falschverstandene Zivilisation“ einstufte. Als Anstifter dieses „sittenlosen Verhaltens“ prangerte man „einige weibliche Intellektuelle, Lehrerinnen und Beamtinnen“ an, „die wirtschaftlich unabhängig geworden, sogar die Scheidung beantragen, mit der Begründung, ihre Ehehälften seien rückschrittlich“. Diese Frauen, die sich mit der modernen Lebensweise identifizierten, diktierten auch die Mode in den Städten. Tarnowo besaß an der Wende zum 20. Jahrhundert eine Vielzahl an Modeateliers. Die reicheren Bürger bestellten sich ihre Bekleidung gleich in Frankreich, sei es Alltagsbekleidung oder Offizielles für Bälle oder andere gehobene Anlässe. Die westeuropäischen Modejournale, die in Bulgarien Verbreitung fanden, schürten zusätzlich den Wunsch nach neuer Mode.
„Die Frauen in Tarnowo erwiesen sich als sehr eitel; ihre Männer waren es nicht minder“, erzählt Todorka Nedewa. „Es gab angesehene Schneiderateliers, die im Grunde genommen die Bekleidung der Notabeln von Tarnowo und ihrer Familien nähten. Speziell nach Tarnowo kamen modebewusste reiche Bürger aus ganz Nordbulgarien, um bei diesen Schneidern zu bestellen. Auch die Modistinnen waren sehr geschickt. Sie beschafften sich Modezeitschriften aus Westeuropa mit Schnittmustern und nähten die Kleider tadellos nach. Hervorragendes leisteten jedoch die Frauen, die damals die in Mode gekommenen Blusen, Pullover und Jacketts häkelten und strickten. Ihre Dienste beanspruchten auch Damen aus Russe und Swischtow, um mit etwas Originellem aufwarten zu können.“
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
Fotos: Archiv
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