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Rosendornen, Nachtteufel und Amulette – altertümliche Schutzmittel vor Epidemien

Sie ist alt und hässlich und hat zerzauste Haare – kurz gesagt: sie ist ein böses Weib! Sie schleicht mit einem schmutzigen Kind umher, ein Notizbuch in den Händen haltend, um ja niemanden zu vergessen, dem sie den Garaus machen kann. Die Rede ist vom Schwarzen Tod – eine der verheerendsten Pandemien der Weltgeschichte, die auch in Bulgarien Tausende dahingerafft hat. Die Menschen sahen sich der Pest hilflos ausgeliefert. Um sie zu besänftigen, legte man für sie am Eingang des Dorfes ein Rundbrot mit Honig und Wein; man stellte auch Wasser hin und selbst einen Kamm, damit sie sich selbst und ihr Kind wieder in Ordnung bringen könne. Man hoffte, dass sie nach einer Stärkung vergessen haben könnte, warum sei eigentlich gekommen sei, und weiterziehen würde. In solchen Praktiken sahen unsere Vorfahren eine der wenigen Möglichkeiten, sich vor der Krankheit zu bewahren.

Behandlung Pestkranker, Darstellung aus „La Franceschina“ von 1474, der Ordenschronik des Franziskaners Jacopo Oddi

Gegen die Pockenkrankheit kämpfte man, indem man versuchte, die Ursache – „Oma Blattern“ zu beschwichtigen. Die alte Frau hatte eine Schwäche für kleine Kinder, liebte genauso wie die Pest die Rundbrote mit Honig und den Wein, hielt dafür aber viel auf Sauberkeit. Man versuchte, sie wieder zum Gehen zu bewegen, indem eine Spur mit Zuckersirup angelegt wurde, die vom Krankenbett bis hinaus aus dem Haus führte.

Die alten Bulgaren versuchten sich vor Ansteckungskrankheiten auch mittels Talismanen zu schützen. Es waren kurze Zaubersprüche oder Gebete, die in glagolitischer oder kyrillischer Schrift geschrieben waren. Archäologen haben altbulgarische Amulette aus dem 9. und 10. Jahrhundert entdeckt, die entweder nur eine Darstellung, oder nur Text enthielten.

„Triumph des Todes“, Gemälde von Pieter Bruegel d. Ä. aus dem Jahre 1562

Mit der Zeit häuften die Menschen mehr Wissen an und verdrängten zunehmend mehr den alten Aberglauben. Man versuchte, den Krankheiten wissenschaftlich zu begegnen. In der Zeit der osmanischen Fremdherrschaft haben die Behörden ganze Dörfer unter Quarantäne gestellt und kranke Personen isoliert. Es wurden epidemiologische Stäbe gebildet, die in etwa die gleichen Funktionen, wie die heutigen Regionalen Gesundheitsinspektionen hatten.

„Die osmanischen Ärzte bestanden auf das Tragen von Masken. Das waren kleine quadratische Stücke Leinenstoff, die das Gesicht bedeckten. Menschen ohne solche Masken wurden vom Gesundheitsinspektor mit einer Geldbuße bestraft“, erzählte uns der Historiker Rumen Iwanow.

Medizinische Anweisung zur Behandlung Pestkranker, osmanische Handschrift aus dem Jahre 1508

Glaubt man den alten Quellen, haben die Behörden im alten Plowdiw in Zeiten verschiedener Epidemien die Straßen mit Rosen-Wasser besprengt. Dieses galt den Moslems als gesegnet, weil es aus Rosen hergestellt wurde, die die Lieblingsblume des Propheten Mohammed war. Die Bulgaren ihrerseits schützten sich vor Infektionen, indem sie die Wohnräume kräftig beweihräucherten. Dabei wurde nicht nur echter Weihrauch verwendet, sondern auch verschiedene Kräuter, wie beispielsweise Echtes Johanniskraut. Und noch eine interessante Tatsache: In unseren Breiten wurde die weltweit erste Pockenimpfung vorgenommen.

„Pocken treten auch bei Rindern auf. Mit einem Dorn einer Rose entnahm man einer Pocke des erkrankten Tieres ein wenig Sekret und übertrug es auf einen Menschen. So schützte man sich vor dieser Krankheit“, erzählt Rumen Iwanow. „Etliche Reisende berichten über diese Art Impfung, die im ganzen Osmanischen Reich verbreitet war, vor allem jedoch in den von Bulgaren bewohnten Gebieten und in Anatolien praktiziert wurde. Diese Praktik wurde erst im 17. Jahrhundert auch in Westeuropa eingeführt.“

Obwohl die Wissenschaft langsam Einzug hielt, gab es nach wie vor aus unserer heutigen Sicht recht eigenwillige Anordnungen gegen die Epidemien:

„Laut den osmanischen Dokumenten durften in Zeiten von Epidemien die Männer und Frauen keine intimen Kontakte haben, weil man davon überzeugt war, dass dann Missgeburten zur Welt kommen würden. Ferner duften Pestkranke keine Milchprodukte verzehren, weil diese die Symptome der Krankheit angeblich verschlimmerten. Einige Ärzte empfahlen, auf Spaziergänge nach Sonnenuntergang zu verzichten, weil die meisten Krankheiten vom Teufel kämen, der Nachts gern umherstreife und von den Menschen Besitz ergreifen könnte. Die Behörden verboten sogar den Einwohnern, nach Sonnenuntergang ihre Häuser zu verlassen, weil man glaubte, dass auf diese Weise die Seuche verbreitet werde.“

Heutzutage spukt noch so manch Aberglaube in den Köpfen der Menschen. Das deutet darauf hin, wie verletzbar wir sind und von den Naturgewalten abhängen.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow

Fotos: Archiv und bereitgestellt von Rumen Iwanow



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