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In der Weltwasserwoche fragen wir, wo Bulgarien auf der blauen Karte steht

Die Wasser-Infrastruktur in unserem Land ist sehr alt und in einem desolaten Zustand

Foto: pixabay

Die Weltwasserwoche (23.08-01.09.22) hat in Bulgarien mit viel Regen begonnen. In der Stadt Karlowo wurde aufgrund starker Regenfälle, die zur Überflutung zahlreicher privater und öffentlicher Gebäude führten, teilweise der Ausnahmezustand verhängt. Stunden später wurde auch Stara Sagora von einem sintflutartigen Regen und einem heftigen Sturm heimgesucht.

Polare Naturereignisse dieser Art sind auch in Europa keine Ausnahme. In der Donau herrscht seit Wochen Niedrigwasser, wobei in ihrem bulgarischen Abschnitt Pegelstände gemessen wurden, die nur einen Zentimeter höher waren als die niedrigsten der letzten 80 Jahre.

Die Dürre ist auch eine Folge der Rekordtemperaturen in diesem Sommer in Mittel- und Westeuropa.

„Der Klimawandel und die Folgen, die er mit sich bringt, sind eindeutig kein Mythos. Die Natur führt uns das sowohl in Bulgarien als auch in der ganzen Welt klar vor Augen“, sagte Ingenieur Iwan Iwanow, Vorsitzender des Bulgarischen Wasserverbandes, in einem Interview für „Radio Bulgarien“. Seinen Worten zufolge sind solche Naturrekorde in unserer Geschichte nichts Neues, aber aufgrund des Klimawandels der letzten Jahrzehnte leben wir heute in ständiger Gefahr vor Wassermangel oder Überschwemmungen.

Nach den Worten des Experten wird in Bulgarien in den letzten Jahren aktiv an sogenannten Hochwasserrisiko-Managementplänen und an Plänen zur Bewirtschaftung der Flussbecken gearbeitet. Es bleibt aber die Frage, ob sie angemessen umgesetzt werden:

„Meine Beobachtungen sind, dass in Bulgarien gezielter an der Umsetzung der Maßnahmen gearbeitet werden muss, die in diesen Dokumenten enthalten sind. Sie werden wirklich sorgfältig unter der Aufsicht der Europäischen Kommission ausgearbeitet, die sie vorschreibt, aber dann bleibt das Geschriebene nur auf dem Papier und die zu ergreifenden Maßnahmen werden nicht umgesetzt. Als Ausrede wird vornehmlich der Mangel an  Mitteln angeführt. Wenn es aber keine Mittel gibt, dann sind die auf Papier festgehaltenen Maßnahmen nicht gut geplant und nach Prioritäten geordnet“, meinte Ing. Iwanow und weiter: „Es gibt keine Koordinierungsstelle, die das Wasser und die Wasserressourcen des Landes verwaltet und für deren angemessenste und rationelle Nutzung zuständig ist.“

Laut dem jüngsten Bericht der Umweltagentur für das Jahr 2020 belaufen sich die erneuerbaren Wasserressourcen Bulgariens auf insgesamt 79.877 Millionen Kubikmeter Wasser, was den niedrigsten Wert der letzten fünf Jahre darstellt. Und obwohl unser Land nach Island an zweiter Stelle in Europa steht, was die Anzahl der Mineralquellen angeht, sind viele von ihnen nicht zur Ausbeutung geeignet und spielen im Wasserhaushalt praktisch keine Rolle.

Ist es möglich, dass Bulgarien zu einem der ärmsten Länder auf der blauen Landkarte Europas wird?

„Ich würde auf jeden Fall sagen, dass Wasserressourcen vorhanden sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie nicht nur für die Wasserversorgung der Haushalte, sondern auch für die Bewässerung, in der Schwer- und Leichtindustrie sowie in der Lebensmittelindustrie verwendet werden. Und wir müssen diese natürliche Ressource wirklich sehr gut verwalten, damit nicht die gesamte Wirtschaft des Landes darunter leidet. Tun wir das? Meiner Meinung nach nicht. Allein die Tatsache, dass der durchschnittliche Wasserverlust in den Wasserversorgungssystemen 60 Prozent beträgt (oder 492,46 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr 2020 laut Angaben des Nationalen Statistikamtes), ist ein Beweis für unsere fahrlässige Haltung. Wir suchen nach Ausreden und geben den alten Wasserleitungen und den vielen Lecks die Schuld. Davon ist jedoch seit bereits 15 Jahren die Rede, ohne dass es Fortschritte oder positive Veränderungen gäbe. Wir begründen dies mit fehlenden Mitteln, aber es stellt sich heraus, dass Mittel vorhanden sind. Sie werden jedoch entweder nicht rechtzeitig,  innerhalb der dafür vorgesehenen Fristen oder aber nicht sinnvoll genutzt. Ich möchte als Beispiel neu gebaute Anlagen anführen, die schlechter funktionieren als alte, die noch bestehen. Und das wird übergangen, ohne nach den Schuldigen zu suchen oder Schlüsse zu ziehen“, kritisiert Ing. Iwan Iwanow.

Der durchschnittliche Pro-Kopf-Wasserverbrauch in Bulgarien liegt im europäischen Durchschnitt. Er lag laut dem Nationalen Statistikamt pro Person bei 102 Litern pro Tag im Jahr 2020 und bei 99 Litern im Jahr 2019. Hiermit wird der Wasserverbrauch im Haushalt praktisch von der Problematik ausgeschlossen.

Ing. Iwanow ist der festen Überzeugung, dass in unserem Land die Verluste in den Wasserversorgungsanlagen und die Verluste in den Bewässerungsanlagen die Ursache für die Wasserkrisen und die Beschränkungen beim Wasserverbrauch durch die Haushalte sind.

„Die Infrastruktur des Landes ist sehr alt und in einem maroden Zustand, da im Laufe der Jahre ihre Sanierung nicht eingeplant wurde. Es wurde und wird immer noch reaktiv gehandelt, was uns in große Gefahr bringt“, erklärte der Präsident des Bulgarischen Wasserverbandes.

Und all dies wirkt sich auf den Geldbeutel eines jeden Bulgaren aus. Ab dem 1. August hat die Wasser- und Energieregulierungsbehörde (KEWR) eine weitere Erhöhung der Preise pro Kubikmeter Wasser in mehreren Städten angekündigt. Wir sollten uns also die Worte von Ing. Iwanow zu Herzen nehmen, dass wir keine Macht über die Natur haben und deshalb auf ihre Überraschungen vorbereitet sein sollten, um menschliche Opfer und Sachschäden zu minimieren.

Übersetzung: Rossiza Radulowa

 




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