„Der Bürger sollte zweifellos des Lesens und Schreibens mächtig sein, schnell lesen können, ohne dabei große Augen zu machen und die Lippen zu bewegen und vor allem sollte er einfache Rechnungen zufriedenstellend anstellen können“. So wird in einem Feuilleton beschrieben, wie man sich vor einem Jahrhundert in unseren Breitengraden den idealen Kandidaten vorgestellt hat, der in den gewählten Institutionen das Recht der Bürger auf Wohlstand und ein würdiges Leben verfechten sollte.
Und obwohl die heutigen Kandidaten formell die meisten Kriterien erfüllen, vor allem, wenn man ihre Posts in den sozialen Netzwerken überfliegt, macht sie dies durchaus nicht zu Favoriten. Denn neben den Fähigkeiten, die man sich mit Fleiß aneignen kann, verlangten die Bulgaren einst von ihren Auserwählten solche Tugenden wie eine gute Familie, ein gepflegtes Erscheinungsbild und Respekt – etwas, was man auch heute hoch zu schätzen weiß.
Aber inwieweit können solche Kriterien, die vor mehr als einem Jahrhundert von gewissenhaften Bürgern aufgestellt wurden, heutzutage und am Vorabend der Kommunalwahlen eine Richtschnur für die Wähler sein?
„Das sind Anforderungen, die der jeweiligen Zeit entsprechen, die aberheutzutage und angesichts der politischen Sitten fast unmöglich sind“, antwortete Jordan Mintschew, Autor der Internetplattform „Na megdana“. „Das sind zeitlose Eigenschaften, nur haben wir sie ins Gegenteil gedreht. Einst musste man beispielsweise auf Geld, Eigentum und Vieh verweisen können, um „finanziell gut aufgestellt“ zu sein. Nun hingegen hegen die meisten die Hoffnung, erst dann finanziell gut aufgestellt zu sein, wenn sie sich in den entsprechenden Sessel setzen und irgendwann selbst bestimmen können, wer später in diesem Sessel sitzen soll“, so Jordan Mintschew. Seiner Ansicht nach gibt es unter den Menschen in Wahlämtern kluge und belesene Leute. Zuweilen wird es einem aber traurig zumute, wenn man sieht, wie sie sich auf ein niedrigeres Niveau begeben - sei es, um verstanden zu werden oder um Eindruck zu machen.
„Höflich und rücksichtsvoll zu sein und in leisem Tonfall zu sprechen – das ist ein weiteres Kriterium aus der Vergangenheit,“ fährt Jordan Mintschew fort. „Wenn man aber sieht, wie sie sich im Plenarsaal gegenseitig aufs Übelste beschimpfen, wird einem klar, dass Inkompetenz schon immer laut war. Sonst hätte sie keine Chance, sich Gehör zu verschaffen und das ist es vielleicht, worauf sie sich verlässt.“
Die Wähler, die mit prosaischen Alltagsproblemen zu kämpfen haben, die für das 21. Jahrhundert beschämend sind, verlangen wohl kaum Finesse, gute Manieren und Familiensinn bei der Lösung besagter Probleme. Hier sind die Meinungen einiger von ihnen aus der Bezirksstadt Schumen:
„Ich bin Arbeitgeber - wie soll ich aber Leute zur Arbeit bringen, wenn es keine entsprechenden Busse zwischen den Dörfern gibt? Das bedeutet, dass ich Mittel aufbringen muss, obwohl die Gemeinde sich darum kümmern sollte.“
„Im Krankenhaus muss alles in Ordnung gebracht werden, denn niemand kümmert sich um niemanden. Meine schwangere Frau hatte Bauchschmerzen und wir mussten drei Stunden in der Notaufnahme warten, bis man sie aufgenommen hat. Das gleiche kann ich auch über die Verkehrspolizei in Schumen sagen. Ich habe hier meinen Führerschein gemacht, habe mir aber in Deutschland eine neue Führerscheinkarte ausstellen lassen, weil die alte kaputt war. Und da ich in Bulgarien bleiben will, habe ich ein Duplikat beantragt, aber sie haben mich nach Deutschland geschickt, um meine Rechte als Fahrer wiederherzustellen.“
„Meine Erwartungen sind gleich Null, denn jeder will Geld stehlen. Wir zahlen Versicherungen, Vignetten und bekommen rein gar nichts als Gegenleistung. Gestern sind vor meinen Augen zwei Autoreifen geplatzt. Schuld dafür trägt der Bürgermeister - wenn der nichts tut, gibt es niemanden anders“, meint ein Einwohner von Schumen.
„Wir können nicht ruhigen Herzens mit dem Kinderwagen raus, weil wir keine Bürgersteige haben“, sagte eine junge Mutter aus Schumen. „Gestern hatten wir wieder kein Wasser - abgesehen davon, dass es sehr teuer ist, benutzen wir es nur für das Allernötigste. Ich habe jede einzelne Babyflasche zusätzlich sterilisiert, weil das Wasser sehr trüb war und ich Angst hatte.“
„Es ist sehr schwierig, einen Job zu finden, besonders für junge Leute wie mich. Seit vier Monaten scheitere ich daran, dass die Arbeitgeber Berufserfahrung verlangen, die man einfach nicht mitbringen kann, wenn man gerade seinen Abschluss gemacht hat“, sagte eine 25-jährige Frau.
„Gibt es Ihrer Meinung nach noch Bildung? Sehen Sie die Jugendlichen?“, fragte rhetorisch ein Bürger. „Am schlimmsten ist es meiner Meinung nach um die Bildung bestellt. Und was stellen wir mit dem Gesundheitswesen an? Das ist ein nationales Problem. Das Ignorantentum und die schlechten Manieren, die um sich greifen, hängen auch von den Regierenden ab“, resümierte er.
Zum Leidwesen der Bürger hängen die meisten der angeführten Probleme genau von den Regierenden ab, weshalb sie bei den bevorstehenden Kommunalwahlen am 29. Oktober mit Bedacht wählen sollten. Jordan Mintschew bietet seine Skala an, anhand derer er beurteilt, wer seine Stimme verdient.
„Ich höre sehr genau zu, was die Kandidaten sagen. Ich will nicht, dass sie von der Zukunft sprechen. Wenn sie im Präsens sprechen, wird mir klar, wie die Zukunft aussehen wird. Je mehr sie mir in der Zukunft versprechen, desto mehr sacken sie auf meiner Skala ab.“
Jordan Mintschew schließt mit einem Axiom, das es nun endgültig zu zerstören gilt:
„Jemand, der lügt, kann kein guter Bürgermeister sein. Wenn er aber nicht lügt, kann er gar nicht erst Bürgermeister werden. Und das haben wir akzeptiert. Wir tauschen uns mit einem Lächeln darüber aus, wir machen uns lustig darüber, wählen aber genau solche Leute“, so Jordan Mintschew abschließend.
Text: Diana Zankowa (unter Verwendung von Interviews von Sdrawka Russewa und Ayşe Latif von BNR-Shumen)
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: BNR – Shumen, Simona Alexieva, Archiv
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