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Das Notizbuch von Wassil Lewski - ein Universum, das die vielen Gesichter des Freiheitsapostels zeigt

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Foto: nationallibrary.bg

Wassil Lewski wird von den dankbaren Bulgaren als Freiheitsapostel und Nationalheld verehrt. Er setzte sich für die Befreiung Bulgariens vom Osmanischen Reich ein und war Ideologe, Gründer und Organisator der Inneren Revolutionären Organisation.

Wassil Lewski, Porträt aus dem Jahr 1870

Wassil Lewski zog vier Jahre lang durch das Land und gründete lokale revolutionäre Komitees. Er wurde 1872 von den Wachen des Osmanischen Reiches gefangen genommen und am 18. Februar (6. Februar nach dem Julianischen Kalender) 1873 gehängt.

Die von Wassil Lewski durchgeführte Ausbildung und Agitation diente der Organisation des Aprilaufstands von 1876, der als Höhepunkt der nationalen Befreiungsbewegung der Bulgaren gilt. Die durch den Aufstand ausgelöste Reihe von Ereignissen führte zur Wiedererstehung des bulgarischen Staates nach fünf Jahrhunderten osmanischer Herrschaft.

Das persönliche Notizbuch von Wassil Lewski gilt als eines der Heiligtümer unserer nationalen Wiedergeburtszeit. In diesem authentischen Dokument finden wir ihn nicht nur in seiner Rolle als Freiheitskämpfer, der der Fremdherrschaft ein Ende setzen wollte, sondern vor allem als Menschen, sagte Plamen Mitew, Professor an der Sofioter Universität „Hl. Kliment von Ochrid“.

Prof. Plamen Mitew

„Der Leser findet auf den Seiten dieses Notizbuchs Informationen über den Alltag des Freiheitsapostels, wie er gelebt, was er gegessen, wie er sich gekleidet hat, wie er Kontakt zu seinen Verwandten oder zu völlig Fremden hielt, die ihm in irgendeiner Weise bei der konspirativen Arbeit behilflich waren. Für mich persönlich ist dieses Notizbuch ein Universum, das die vielen Gesichter des Freiheitsapostels offenbart - nicht nur den Revolutionär, nicht nur den Politiker, nicht nur den Ideologen, sondern vor allem den lebendigen Menschen, der darin seine Emotionen festgehalten hat. Zum Beispiel am Basiliustag 1872, als unbekannte Kinder zu ihm kamen, um ihn zu grüßen. Er hatte nichts, was er ihnen geben könnte, außer ein paar Würfel Zucker, die er in seinem Notizbuch als Ausgabe vermerkte. Oder er erwähnt anonym eine bulgarische Witwe, bei der er wochenlang gelebt hat und notiert einen kleinen Betrag, den er beiseite gelegt hat, um ihr bei der Ernährung ihrer Kinder zu helfen. Für mich sind das sehr wichtige Akzente, die wir in seiner Korrespondenz, in seinen politischen Dokumenten, in der politischen Emigrantenpresse, die in einer anderen Sprache und mit anderen Akzenten über die angestrebte Befreiung berichtet, kaum finden können. Das Notizbuch zeigt uns ein anderes, ein sehr menschliches Gesicht des Freiheitsapostels“, sagte der Historiker.

Es ist sehr wichtig zu wissen, dass die Informationen in diesem Notizbuch nicht zeitlich nacheinander folgend notiert sind. Lewski war etwas spontan in der Art und Weise, wie er einzelne Informationen notierte. Deshalb muss man sehr genau die Informationen von den verschiedenen Seiten zurückverfolgen und sie gleichzeitig mit anderen Dokumenten kombinieren, die die Zusammenhänge ergeben und die Situation erklären würden, in der er eine Tatsache notiert hat. Es fehlen viele Seiten in dem Notizbuch, und es gibt auch leere Seiten. Wir fragten Prof. Mitew, wie man die Anrede an das Volk mit vier Fragezeichen „Volk????“ zu deuten hat.

Der Forscher sagte, dass Prof. Dojno Dojnow diese Worte mit den auf der Nachbarseite in Latein geschriebenen Wörtern „Chloroform“ und „Ammoniak“ verbindet. Nach einem Raubüberfall auf das türkische Postamt im Arabakonak-Pass wurden die Täter gefasst. Lewskis Assistent Dimitar Obschti veriet den türkischen Ermittlungsbehörden alle ihm bekannten Komiteemitglieder.

„Jeder kann diese Fragezeichen auf seine Weise auslegen, seine eigene Entschlüsselung suchen. Aber für mich persönlich sind sie ein Ausdruck jener Enttäuschung, die Wassil Lewski dazu bringen würde, seinen Verhörern in Sofia zu sagen, dass „der Bulgare darauf wartet, dass ihm die Freiheit auf einem Tablett serviert wird“. Denn zweieinhalb Jahre lang hat er mit großem Aufwand ein mächtiges, geheimes Komitee aufgebaut, um einen Volksaufstand vorzubereiten. Und plötzlich führte das, was am 22. September 1872 in Arabakonak geschah - der Überfall auf das türkische Postamt - zu einem so schweren Schlag, dass vor seinen Augen die Hoffnungen, die Träume von einem baldigen Volksaufstand zerplatzten. So wird vielleicht jede Generation versuchen, ihre eigene Erklärung für diese Fragezeichen zu finden. Aber für mich persönlich sind sie ein Ausdruck der Enttäuschung, die der Apostel in den letzten Monaten seines Lebens durchlebte“, so Universitätsprofessor Prof. Plamen Mitew.

Übersetzung: Rossiza Radulowa

Fotos: nationallibrary.bg, museumvt.com, BTA, Iwo Iwanow


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