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Herzlich willkommen in der unterirdischen Stadt

Im Untergrund der Basilika „Hl. Sofia“ wurden Überreste der Ost-Nekropole des antiken Serdika sowie von drei frühchristlichen Kirchen entdeckt.
Foto: Weneta Nikolowa
Über die gelben Pflastersteine der bulgarischen Hauptstadt eilend, wird uns selten bewusst, dass nur wenige Meter unter den Boulevards und Plätzen der Sofioter Innenstadt eine andere, unbekannte Stadt schlummert, die fern der menschlichen Eitelkeit und Hast an der Oberfläche in Finsternis und Vergessenheit versunken ist. Das ist das antike Serdika – eine der bedeutendsten Städte im Römischen Reich. Kaiser Konstantin der Große pflegte häufig auszurufen „Serdika ist mein Rom!“ und erwägte sogar, sie zur Hauptstadt seiner ausgedehnten Gebiete zu erküren.

© Foto: Weneta Nikolowa

Die Basilika „Hl. Sofia“ ist eines der Wahrzeichen der bulgarischen Hauptstadt.

Ihre Blüte erlebt die Mitte des I. Jahrhunderts gegründete Stadt unter Konstatin dem Großen im 4. Jahrhundert, aber auch ihren Untergang und Zerfall in der Folgezeit. Von ihrer wechselhaften Geschichte zeugen Überreste von Wohn- und Verwaltungsgebäuden, von breiten Plätzen und frühchristlichen Kirchen. Einige von ihnen sind in der Sofioter Innenstadt situiert und sorgen unter den zahlreichen Gästen der Hauptstadt für ungebremstes Erstaunen. Der Untergrund der Basilika „Hl. Sofia“ wiederum brachte Überreste der Ost-Nekropole des antiken Serdika zutage. Die konservierten Funde sind in einem Untergrundmuseum zu sehen, das in diesem Sommer zu einer der meist besuchten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt avancierte. Auf 600 m2 präsentiert es in drei unterirdischen Etagen die Objekte aus den entsprechenden Epochen. Der Museumseingang befindet sich in der Basilika. Panzerglastreppen führen hinab in diese eigentümliche Totenstadt, beherrscht von Stille und Zeitlosigkeit. Hinter jeder Mauer verbirgt sich die Ewigkeit, lugt hervor hinter Gräbern und einstigen Apsiden, und erinnert an den unerbittlichen Gang der Zeit und die Flüchtigkeit des Lebens. Die derzeit exponierten rund 50 verschiedenen Grabanlagen stammen aus dem 3.-5. Jahrhundert. Entlang der Steinsarkophage und der gemauerten Grabstellen mit Steinplattenverkleidung oder Tonnengewölbe wandelnd, erhalten wir einen - wenn auch nur flüchtigen Einblick in die Bestattungsrituale und Glauben unserer Vorfahren. Wer wurde hier beigesetzt?

© Foto: Weneta Nikolowa

Das Untergrundmuseum ist schnell zu einer der meist besuchten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt geworden.

„Vor allem wohlhabende Bürger, mit entsprechendem wirtschaftlichem und politisch-religiösem Einfluss – erklärt der Archäologe Julian Meschekow vom Geschichtsmuseum in Sofia. – Die Anlagen zeugen davon, dass sie sehr teuer waren, was sich nur wenige leisten konnten. Vor allem die großen Familiengruften mit Tonnengewölbe. Im Unterschied zur heidnischen Epoche, in der die Toten mit Grabbeigaben versehen wurden, ist dieser Brauch im Christentum verpönt. Die Bestattung erfolgte in der Regel mit persönlichen Gebrauchsgegenständen, zuweilen goldbesetzt. Wir haben u.a. Spuren von Goldfäden gefunden, von persönlichen Gebrauchsgegenständen wie Schmuck, Ringen, Armreifen und selbst Münzen.“


© Foto: Weneta Nikolowa

Eine angenehme Überraschung sind die Hologramme dreier goldener Siegelringe aus dem 12.-14. Jahrhundert, mit denen wichtige Dokumente beglaubigt wurden. Dazu drückte man die Siegel in schwarzes Wachs. Ferner werden die Hologramme der in der Nekropole freigelegten Heiligenschreine gezeigt. "Sehen Sie das Loch da oben? Das haben Schatzgräber hinterlassen . Fast alle Gräber wurden bereits im Altertum geplündert" bedauert Junian Meschekow.


© Foto: Weneta Nikolowa

Die freigelegten Überreste einer frühchristlichen Martyrion-Kirche mit herrlichen Bodenmosaiken bestätigt die Annahme der Archäologen, dass hier die Reliquien eines Heiligen aufbewahrt wurden. Das erklärt auch den Wunsch der Wohlhabenden und Starken des Tages, namentlich in diesem Teil der Nekropole bestattet zu werden. Übrigens beherbergt das Untergrundmuseum der Basilika "Hl. Sofia" auch die Ruinen dreier frühchristlicher Kirchen. Die älteste wird eingangs 4. Jahrhundert datiert. "Zu jener Zeit war das Christentum in den Grenzen des Römischen Reiches bereits offiziell Staatsreligion" - erzählt Junian Meschekow.


© Foto: Weneta Nikolowa

Die zweite Kirche, eine dreischiffige Basilika, wird ausgangs 4. Jahrhundert datiert. Von ihr sind einige Mauerruinen sowie die Überreste der Mauerecken zweier Schiffe erhalten. Das Gotteshaus wurde bei einem der vielen Barbaren-Einfälle in diesem Teil des Balkans zerstört. Die dritte Kirche wurde eingangs des 5. Jahrhunderts errichtet und mit einem bunten Bodenmosaik mit geometrischen und floralen Motiven verziert. Offensichtlich fiel die Kirche dem großen Hunneneinfall Mitte 5. Jahrhundert zum Opfer. Man nimmt an, dass die dreischiffige Sophien-Basilika der Gegenwart, die Namensgeberin der bulgarischen Hauptstadt, Ende 5.- Anfang 6. Jahrhundert gebaut wurde.

Einer der interessanteste Funde befindet sich 20 m nordwestlich der heutigen Sophienkirche. Hier stießen die Archäologen auf eine Grabstätte mit kunstvollen bunten Fresken mit Kreuzen und Rosetten. "Das ist die einzige frühchristliche Grabanlage in Bulgarien, in der Name des Verstorbenen genannt wird", behauptet Junian Meschekow. Die lateinische Inschrift lautet "Honorius, Diener Gottes".

Das Untergrundmuseum soll weiter ausgebaut werden. Gegenwärtig verfügt es über Multimedia-Bildschirme, auf denen Kurzfilme über die Geschichte der Stadt und Informationstafeln eingespielt werden. Leider kann man mit wenigen Ausnahmen derzeit lediglich die Modelle der freigelegten Mosaiken besichtigen, da letztere noch restauriert werden. In absehbarer Zeit jedoch wird der Boden der tausendjährigen Kirchen, auf denen einst unsere Vorfahren ihren Fuß setzten, erneut in alter Pracht erstrahlen.

Übersetzung: Christine Christov
По публикацията работи: Weneta Nikolowa


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