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An der Flüchtlingsfront nichts Neues

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Foto: BGNES

Der Flüchtlingszustrom an der bulgarisch-türkischen Grenze ebbt nicht ab, auch wenn die heimischen Medien in letzter Zeit zu diesem Thema kaum berichten. Die Aufnahmezentren in Harmanli, Pastrogor, Ljubimetz und Sofia sind voll mit Menschen, die Zuflucht suchen, ihre Zukunft aber nicht im armen Bulgarien, sondern in Westeuropa sehen. Und so häufen sich in letzter Zeit die Meldungen über Versuche, die bulgarische Grenze in Richtung Westen illegal zu überqueren. Erst kürzlich haben sich vier Flüchtlinge bei Widin, nahe der serbischen Grenze, verloren und sind erfroren.

Eine Gruppe von 20-25 illegalen Immigranten versucht, die grüne Grenze zwischen der Türkei und Bulgarien bei Elchowo zu überqueren. Die Grenzpolizei sichtet sie auf ihren Kameras, schickt eine Patrouille zur Stelle, nimmt sie wegen Grenzverletzung fest und bringt sie nach Elchowo. Dort wird die Identität festgestellt. Anschließend werden die Flüchtlinge in ein Aufnahmezentrum gebracht, wo sie die Entscheidung über ihren Asylantrag abwarten.

Das ist eine wahre Geschichte aus diesem Sommer, an der südlichen Grenze Bulgariens wiederholt sie sich aber fast täglich. Dimiter Slawow von der Menschenrechtsorganisation „Helsinki-Komitee“ ist von Anfang an im Flüchtlingslager Harmanli dabei und betreut die schutzsuchenden Menschen.

„Das Lager in Harmanli entstand letztes Jahr aus dem Nichts“, erinnert sich Dimiter Slawow. Die Flüchtlinge waren in Zelten untergebracht, ohne fließendes Wasser, ohne Strom, ohne Ärzte vor Ort. Es gab einfach nichts, nicht einmal eine Verwaltung. Mit der Zeit hat sich die Lage dort aber sichtlich verbessert. Harmanli ist das größte Aufnahmezentrum und täglich kommen neue Menschen an. Pro Tag sind es bis zu 30 Flüchtlinge. Mit zwei Dolmetschern braucht man viel Zeit allein für ihre Registrierung. Und der Flüchtlingsstrom ebbt nicht ab – 2150 Menschen allein im Oktober“, verweist Slawow auf die Statistik.

Trotz der sichtlich verbesserten Lebensbedingungen im Aufnahmelager beklagen sich die Flüchtlinge überwiegend über das langatmige Prozedere. Der neue Direktor des Zentrums Marko Petrow kennt alle 1760 Bewohner des Aufnahmelagers. 90 Prozent von ihnen sind Kurden aus Syrien. Viele sind mit ihren Familien geflüchtet.

„Sie klagen darüber, dass sie doch auf engstem Raum leben müssen“, sagt Marko Petrow. „Wir bemühen uns, dass in einem Raum nur eine Familie untergebracht wird, das gelingt aber nicht immer. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Täglich kommen zwischen 80 und 100 neue Flüchtlinge an. In den letzten zwei Monaten hat der Flüchtlingsstrom wieder stark zugenommen“, berichtet der Lagerchef.

Bulgarien liegt auf dem Weg der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten nach Westeuropa. Wie es scheint, kommen die bulgarischen Behörden damit immer noch nicht ganz klar. Die Herausforderungen sind groß. Die Flüchtlingswelle hat das Land unvorbereitet getroffen. Besonders kritisch bleibt es nach wie vor an der Grenze zur Türkei bei Elchowo, wo rund 90 Prozent aller Flüchtlinge, die nach Bulgarien einreisen, die grüne Grenze überqueren.

„Das Flüchtlingsaufkommen nach Europa, das zum großen Teil durch die bulgarisch-türkische Grenze verläuft, ist sehr groß und Bulgarien kann es allein nicht stemmen“, sagt der Leiter der Grenzpolizei in Elchowo Stojan Stojanow. „Es ist ein europäisches Problem und da muss man eine Gesamtlösung suchen.Die europäische Gesetzgebung ist nun mal momentan so, dass wir diese Last übernehmen müssen. Ich meine das Dublin-Abkommen. Fragen Sie uns nicht, wir sind vor Ort und setzen politische Beschlüsse lediglich um. Ich habe schon immer behauptet, dass die jetzige Regelung in der EU nicht unbedingt fair ist. Die EU ist ja ein Solidaritätspakt. Wir sollten uns gegenseitig helfen. Nun aber tragen die Länder an der EU-Außengrenze die Last, darunter auch Bulgarien, aber auch Griechenland und Italien, wo der Druck am größten ist. Ich wünsche mir, dass es zu einer neuen politischen Lösung kommt, um diese Last anders zu verteilen“, hofft Stojanow.

Eines der größten Probleme Bulgariens ist, dass die Flüchtlinge nicht über die Grenzkontrollpunkte ins Land einreisen, sondern die Grenze illegal passieren. Stojanow zufolge ist dies so, weil die Syrer keine Pässe haben. Die illegale Einreise ist aber eine Grenzverletzung und deshalb dauert es in der Regel auch relativ lange, bis die Sachlage geklärt ist. Stojanow weiter:

„Unsere Information, und auch die Information der Partner aus der EU und der NATO zeigt, dass der Flüchtlingsstrom von vorn bis hinten organisiert ist“, sagt der Grenzpolizeichef. „D.h. die Flüchtlinge reisen mit Hilfe von Schleppern aus der Türkei. In diesem illegalen Geschäft sind sowohl türkische Staatsbürger verwickelt, als auch die fliehenden Syrer selbst. Fast alle Flüchtlinge reisen mit Hilfe von Schlepperbanden. Ihre Drehscheibe ist Istanbul, wo die Reise organisiert wird. Das alles kostet Geld, viel Geld. Deshalb suchen die Schlepper selbst nach Flüchtlingen, treiben sie auf, um sie über die Grenze nach Bulgarien zu bringen“, schildert Stojan Stojanow.

Das Abschiebungsabkommen Bulgariens mit der Türkei ist gescheitert, dafür aber hat die Europäische Union ein solches Abkommen mit unserem südlichen Nachbarn abgeschlossen. Dieses Rückführungsabkommen sieht allerdings eine dreijährige Gratiszeit vor. „Daher erwarte ich nicht, dass sich die Lage an der Grenze in diesen drei Jahren wesentlich verbessern wird“, resigniert der Grenzpolizeichef in Elchowo Stojan Stojanow.




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