Die bulgarische Energiewirtschaft durchlebt nach wie vor eine sehr schwierige Zeit der Anpassung an die Marktwirtschaft und an die neuen Technologien. Ein Teil des Problems sind die immer wieder aufgeschobenen, aufgehobenen und vergessenen Reformen. Ein anderer – die gegensätzlichen Interessen der Stromproduzenten und der Abnehmer.
Auf dem Strommarkt in Bulgarien arbeiten wenige große staatliche Kraftwerke und viele große und kleine private, die Verteilung und die Tarife sind staatlich reguliert. Genau darin bestehen die Hauptprobleme des Sektors – zunächst die Überproduktion und zweitens die Preise, die nach Meinung der Produzenten viel zu niedrig und nach Ansicht der Endabnehmer viel zu hoch sind.
Bulgarien hatte und hat immer noch das ehrgeizige Ziel, eine Art Energiezentrum auf dem Balkan zu werden. Anlass für diese Ambitionen ist die Überproduktion von Strom im Land bei gleichzeitigem ständigen oder periodischen Stromhunger in den Nachbarländern. Bulgarien exportiert Strom nach Griechenland, in die Türkei und in andere Nachbarstaaten, doch es ist ungewiss, wie lange das noch so bleiben wird. Denn die Türkei errichtet schon mit russischer Unterstützung ein Atomkraftwerk und weitere sind geplant. Und Griechenland baut sein Erdgasnetz aus. Überall boomen Sonnen- und Windkraftwerke. Es ist also abzusehen, dass die bulgarischen Stromexporte auf lange Sicht sinken werden. Langsam aber stetig und sicher sinkt auch der Stromverbrauch im Land – aufgrund der energiesparenden neuen Technologien.
Trotz dieser Trends werden in Bulgarien immer wieder große Energieprojekte vorgeschlagen: von einem neuen Atomkraftwerk bei Belene an der Donau, über den Bau eines neuen Reaktors im bereits existierenden KKW „Kosloduj“ bis zu den Träumen von einem Erdgasverteilungszentrum für ganz Europa an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Keines davon verzeichnet irgendwelche Fortschritte.
Indes arbeitet die Energiewirtschaft als Ganzes auf Verlust und häuft kolossale Schulden an – mehr als 1,5 Milliarden Euro sind es schon. Das kann natürlich so nicht lange weitergehen. Eine erste Folge ist, dass wegen der Überproduktion Kraftwerksblöcke abgeschaltet werden. Andererseits sehen die Endverbraucher mit großem Bangen dem 1. Juli entgegen, denn an diesem Datum verändert die Regulierungsbehörde jedes Jahr die Stromtarife und die Stromproduzenten fordern zweistellige Prozenterhöhungen der Aufkaufpreise für ihren Strom und begründen diese Forderungen damit, dass sie bei den jetzigen Tarifen ihre laufenden Kosten und Investitionsausgaben nicht decken können. Die Endverbraucher, darunter die privaten Haushalte, fordern aber eine Preissenkung. Diese soll zustande kommen, indem Anbieter, die teueren Strom produzieren, aus dem so genannten „Strom-Mix“ für die privaten Haushalte ausgeschlossen werden – zugunsten von Produzenten, die billiger herstellen. Der Interessenkonflikt ist also erheblich und das vor dem Hintergrund der zunehmenden Verschuldung der Branche. Noch komplizierter wird es, weil in diesem Jahr Kommunalwahlen und im nächsten Jahr Präsidentschaftswahlen auf dem Programm stehen. Die Politiker werden also wahrscheinlich doppelt bestrebt sein, die Wähler nicht zu verärgern – nicht nur wegen der Wahlen, sondern auch weil die Massenproteste wegen der erhöhten Strompreise, die zum Sturz des ersten Kabinetts von Bojko Borissow führten, noch recht frisch in Erinnerung sind.
Die Situation ist also verzwickt und die Politiker müssen sich entscheiden, ob und wie sie die für viele schwierigen und schmerzhaften Reformen durchführen oder weiterhin versuchen, die Lösung der Probleme hinauszuschieben und aus wahlpolitischen Motiven Druck auf die Regulierungsbehörde ausüben, die Strompreise niedrig zu halten.
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