Jedes Jahr verschwindet mindestens ein Dorf von der Karte Bulgariens. Nach Angaben des Nationalen Statistikamtes beträgt die Zahl der ausgestorbenen Dörfer bereits 164. Und das Dorfsterben hält weiter an – die Menschen wandern in die Städte oder ins Ausland. In zunehmend mehr Dörfern verstummen die Glocken und wenn dennoch eine schlägt, dann ist es die Totenglocke.
Es gibt aber auch Menschen, die aus der Großstadt fliehen, weil sie das dortige hektische Leben satt haben. Sie suchen nach Orten, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Eine unter ihnen ist die Puppenschauspielerin Irena Nentschewa. Von ihr stammt die Initiative „Immobilie ohne Miete zu vermieten“, die das Interesse immer mehr Menschen, sogar ganzer Familien auf sich zieht. Sie werden angeregt, wieder aufs Dorf zu ziehen, woher ihre Vorfahren stammten. Was hat sie zu dieser Initiative bewegt?
„Ich selbst habe vor etwa anderthalb Jahren nach einem Haus auf dem Land gesucht“, erzählt Irena Nentschewa. „Dabei sah ich, wie viele Häuser in den Dorf leer stehen, das ich mir ausgesucht hatte. Da kam ich auf die Idee, einen der Eigentümer zu fragen, die nicht in dem Dorf leben, ob er mich nicht in seinem Haus wohnen lässt – mietfrei, dafür würde ich mich um Haus und Hof kümmern. Es stellte sich heraus, dass in Bulgarien unwahrscheinlich viele Häuser unbewohnt sind. Ich bin der Ansicht, dass sich die Menschen, die aus der Großstadt fliehen wollen und die Eigentümer verlassener Häuser gegenseitig nützlich sein können. Diese Beziehung wird vertraglich geregelt, wobei die Bedingungen der unentgeltlichen Nutzung genau festgelegt werden. Es kann auch eine eher symbolische Miete vereinbart werden. Derjenige, der in das Haus zieht, muss sich aber um das Anwesen kümmern. Was das konkret heißt, muss der Eigentümer vorgeben.“
Der Initiative von Irena Nentschewa wurde zuerst mit Misstrauen begegnet; man machte sich sogar darüber lustig. Schon bald stellten sich aber erste Erfolge ein. Heute haben dank ihrer Facebook-Gruppe über 30 verwahrloste Häuser im ganzen Land neue Bewohner gefunden, die sich über ihr neues Leben freuen und die Häuser in Schuss gebracht haben und pflegen. Irena ist davon überzeugt, dass wenn sich Angebot und Nachfrage begegnen, keinesfalls von Handel gesprochen werden muss, sondern von gleichen Interessen. Der eine will oder kann sich nicht um seine Immobilie kümmern und lebt nicht darin und der andere sucht gerade ein solches Haus und empfindet es als Herausforderung, es zu neuem Leben zu erwecken. Jene, die von dieser Initiative nicht überzeugt sind, sollten sie nicht behindern, meint Irena, denn die negative Einstellung sei die größte Hürde.
Die meisten jungen Menschen halten das Leben auf dem Land für langweilig und eintönig. Die Puppenschauspielerin meint, dass diese Einstellung von ihren Eltern vorprogrammiert worden ist. Im Grunde genommen wissen sie nichts über das wahre Landleben. Zudem ist ihr Wertesystem verschoben. Sie fragen „Gibt es dort schnelles Internet?“, anstatt „Kann ich dort der virtuellen Realität entfliehen?“ Wenn sie ihr Handy für einen Augenblick abschalten sollten, könnten sie vielleicht das langvergessene Lachen aus ihrer Kindheit wieder hören. Sie könnten sich ihrer Großeltern entsinnen, die sie während ihrer Ferien auf dem Dorf besucht haben, wie auch der Spiele mit den Nachbarkindern von morgens bis spät in den Abend. Sobald diese Erinnerungen wach sind, könnte auch ihr Wunsch verflogen sein, dem Dorf den Rücken zuzukehren.
Die Initiative „Immobilie ohne Miete zu vermieten“ mag zwar auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, ist aber nützlich und wichtig. Viele der aussterbenden Dörfer könnten erneut mit Leben erfüllt werden. Die Bewohner ihrerseits hätten dann ein Ziel vor den Augen, dass ihnen auch erreichbar erscheint. Man muss nur daran glauben, den Wunsch und die Menschlichkeit besitzen, um der Zukunft entgegenzublicken.
Übersetzung: Wladimir Wladimirow
Fotos: Initiative „Immobilie ohne Miete zu vermieten“
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