Bulgarien gilt als das ärmste EU-Land und die Bulgaren als ärmste Nation innerhalb der Gemeinschaft. Diese Tatsache ist gut bekannt und überrascht niemanden. Überraschend ist allerdings, dass Bulgarien fordere Plätze belegt, wenn es um das Tempo von wachsenden Einkommen geht – im Durchschnitt um mehr als 10% jährlich.
Im März 2017 mussten 20% der bulgarischen Haushalte mit einem Einkommen pro Familienmitglied unter 100 Euro monatlich leben. Im Dezember sind es nur 10% der Haushalte, die mit einem solchen Einkommen pro Kopf auskommen müssen. Nur wenige EU-Länder können so einen Erfolg vorweisen.
Das Problem mit den niedrigen Einkommen jedoch bleibt, weil ein Anstieg um 10% bei einem Einkommen von 400 Euro keinen spürbaren Anstieg der Kaufkraft bedeutet. Ein Beispiel. Die Preise für Trinkwasser steigen ab dem 1. Januar in 14 bulgarischen Gebieten um 20% und mehr und mittlerweile wird über Sozialhilfe für diejenigen nachgedacht, die sich diese Preise für die Wasserversorgung nicht leisten können.
Ebenfalls ab dem 1. Januar soll auch der Mindestlohn im Land von 230 auf 257 Euro ansteigen. Einen solchen Lohn wird eine halbe Million Bulgaren von den insgesamt 2,3 Millionen Berufstätigen bekommen. In Frankreich hingegen soll der Mindestlohn auf 1500 Euro ansteigen. Die Armutsschwelle in Bulgarien wird von 158 Euro in diesem Jahr künftig auf 162 Euro festgesetzt. Das Durchschnittsgehalt in Bulgarien beträgt 550 Euro, die Durchschnittsrente 175 Euro monatlich. Das sind Zahlen, die die bescheidenen Einkommen der Bulgaren gut veranschaulichen. Was nützt dem einfachen bulgarischen Bürger, dass auf der für dieses Jahr letzten Sitzung des Europarates in Brüssel in der vergangenen Woche Bulgarien für seine Finanzdaten gelobt wurde. Das behauptet zumindest der Ministerpräsident Bojko Borissow. Die Finanzdaten mögen auf staatlichen Niveau vielleicht stimmen, doch die finanziellen Ressourcen der bulgarischen Haushalte sind erschreckend niedrig und bedrohen die ansonsten gut laufende Wirtschaft.
Selbst von den Vereinten Nationen wurde Bulgarien in einem der letzten Untersuchungen als entwickeltes, doch armes Land bezeichnet. Eurostat platzierte Bulgarien an zweiter Stelle innerhalb der EU nach Anteil der Bevölkerung, der dem Risiko von Armut und sozialen Ausschluss ausgesetzt ist.
Der regelmäßige Anstieg der Einkommen in Bulgarien ist vor allem auf das Wachstum der bulgarischen Wirtschaft in den letzten 2-3 Jahren zurückzuführen, das für dieses Jahr 4% beträgt. Diese Tendenz wird aber nicht lange anhalten, warnen die Wirtschaftsexperten, denn die Wirtschaft des Landes soll bereits ihre natürliche Obergrenze erreicht haben. Die Gefahr kommt von dem immer spürbar werdenden Defizit an Fachkräften und die unaufhaltsame Emigrationswelle. Diese beiden Erscheinungen hängen eng zusammen, denn es emigrieren vorwiegend qualifizierte Arbeitnehmer und künftige Hochschulabsolventen, die jetzt im Ausland studieren. Eine Wirtschaft ohne Fachkräfte kann aber nicht wachsen. In diesem Kontext ist auch die bedrohlich alternde bulgarische Bevölkerung zu betrachten, dessen relativen Anteil an Rentnern steigt. Weder produzieren etwas, noch konsumieren sie genügend auf Grund ihrer erniedrigend kleinen Renten.
Vergangenen Sommer wurde versucht, Arbeitskräfte aus dem Ausland für die Tourismusbranche zu rekrutieren. Doch das ist keine dauerhafte Lösung, weil die bulgarische Wirtschaft Arbeiter auch außerhalb der Sommermonate braucht. An dieser Stelle treffen wir wieder auf das Problem der Armut und der niedrigen Einkommen. Keinem gut ausgebildeten Ausländer würde es einfallen, in Bulgarien nach Arbeit zu suchen, solange die Löhne so niedrig sind.
Den bulgarischen Regierenden sind diese Fakten wohl bekannt, doch sie werden nicht müde zu erklären, dass das die realen Möglichkeiten unseres Staates ist. Sie würden ja schon alles mögliche tun, problematisch wären die privaten Unternehmen, die den Beschäftigten nicht mehr zahlen wollen. Das mag zwar wahr sein, doch ebenso wahr ist auch, dass die Staatskassen vor Einnahmen aus Steuern, Gebühren und Zöllen überquellen, das Budget für das kommende Jahr um 1,26 Milliarden Euro höher ist und der Staat dafür sorgen könnte, die Einkommen der im öffentlichen Sektor Beschäftigten und der Rentner, die 40% der Bevölkerung ausmachen, zu erhöhen. Das wird unweigerlich die Privatunternehmen unter Druck setzen, die Löhne zu erhöhen. Diese Kettenreaktion wird der bulgarischen Wirtschaft neue Impulse verleihen. Bulgarien könnte langsam anfangen, die jetzt bestehende Armut zu überwinden und sich allmählich dem Lebensstandard der besser gestellten EU-Mitglieder anzunähern. Finanzielle Ressourcen dafür sind vorhanden. Es ist nur eine Frage der politischen Prioritäten und der strategischen Ziele.
Übersetzung: Georgetta Janewa
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