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„Dorf zu verleihen“ verjüngt Dolni Wadin

Seit bereits vier Jahren leihen die Bewohner des Dorfes Dolni Wadin ihren Ort für einige geteilte Worte, Erlebnisse und ein Hauch Leben aus. Versunken in ihrer Einsamkeit und schwermütigen Tagen, warten sie mit Ungeduld auf die Stunden, in denen die Freiwilligen wieder ihre Häuser „bestürmen“, um sie mit frischem Geist und neuen Eindrücken aus der Stadt aufzuladen.

Dolni Wadin ist ein ruhiger Ort im Nordwesten des Landes, wenige Schritte von der Donau entfernt. Es liegt nicht abgeschnitten von der Welt – bis zu ihm führt eine, wenn auch nicht erstklassige Straße, es gibt Internet, drei Geschäfte und einen Arzt, der einmal wöchentlich Sprechstunde hat. Die Kinder und Enkel leben jedoch nicht mehr hier und bis zum regionalen Zentrum – die Stadt Wratza, sind es ganze 120 Kilometer. Eines schönen Tages fiel Anelija Radulowa die Idee ein, wie sie den alten Menschen jenes „zustellen“ kann, was ihnen fehlt, nämlich junge Leute und frischen Geist der an Einwohnern reichen Stadt. Kurzerhand beschloss sie, das Dorf auszuleihen:

Die Initiative „Dorf zu verleihen“ richtet sich an die Menschen, die in der Stadt leben und keinerlei Verbindungen zu einem Dorf haben“, erzählte uns Anelija Radulowa, Leiterin des örtlichen Kulturhauses „Sasnanije 1927“. „In den letzten Jahren ist eine Rückkehr zum Dorf zu beobachten. Vor allem junge Menschen wollen wieder aufs Land, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Und so beschlossen wir, das Dorf Dolni Wadin für etwa 10 Tage im Sommer an Freiwillige aus der Stadt auszuleihen, die mit uns zusammen leben und den alten Menschen helfen sollen. Unser Dorf besitzt rund 140 Einwohner, von denen 80 Prozent alte Menschen sind, die allein leben. Sehr viele Dörfer in Bulgarien sterben aus, weil ihre Einwohner nach Erwerbsmöglichkeiten in den Städten und immer häufiger auch im Ausland suchen“, analysiert Anelija Radulowa und fügt hinzu, dass Dolni Wadin keine Ausnahme macht. Auch die Nachbarn von ihr hätten gern junge Menschen um sich, die ihnen Mut machen können, mit ihnen plaudern, auf kurzweilige Weise etwas Zeit mit ihnen verbringen und ihre Geschichten vernehmen.

Im ersten Jahr kamen 11 Freiwillige, um ein wenig in Bauernschuhen das Dorf zu erkunden. Im zweiten Jahr fanden sich bereits 17 Freiwillige ein, die sich am Bau einer kleinen Bühne im Zentrum des Dorfes beteiligten. Im Jahr darauf trafen Experten ein – ein Agrotechniker, ein Arzt, ein Historiker und sogar ein Abgeordneter. Sie erzählten über Biolandwirtschaft, verschiedene Gartenhilfen und über viele andere interessante und nützliche Dinge. In diesem Sommer halfen die Gäste den Omas und Opas im Viertel, in dem sie untergebracht wurden.

Das hiesige Kulturhaus bemüht sich ebenfalls redlich, mit verschiedenen Initiativen den Geist der betagten Dorfbewohner aufrecht zu erhalten.

Wir sind voll auf die Leute ausgerichtet. Sie müssen informiert sein, sich mit verschiedenen Dingen befassen und geistig wohl auf sein“, sagt Anelija Radulowa. „Wichtig ist, dass sie die Freude am Leben nicht verlieren, auch wenn sie gebrechlich, krank und in einem fortgeschrittenen Alter sind. Jüngst haben wir einen Sportplatz mit verschiedenen Geräten für alte Menschen eingerichtet, auf dem sie sich unter freiem Himmel sportlich betätigen können. Ständig werden verschiedene Vorträge gehalten – beispielsweise über gesunde Ernährung, die Schädlichkeit mancher Medikamente und die Möglichkeiten, körperlich auf der Höhe zu sein. Seit nunmehr 10 Jahren führen wir mit Hilfe von Freiwilligen Säuberungsaktionen entlang des Donauufers durch. Zu uns kamen bereits verschiedene Künstler: Street-Art-Künstler verliehen einem der Dorfbrunnen, der Freilichtbühne und der Haltestelle ein farbenfrohes neues Äußeres, so dass sie nunmehr viel freundlicher aussehen. Wir konzentrieren uns auf das Gemeindeleben: wir pflegen unsere Folklore und geben die Traditionen an junge Menschen weiter, die ihre Sommerferien auf dem Dorf verbringen. Sie freuen sich ihrerseits, wenn sie Reigen tanzen und eine über 100 Jahre alte Tracht anziehen können.“

Wer einmal nach Dolni Wadin gekommen ist, will wiederkommen. Einige der Freiwilligen wollen sich sogar gemeinsam ein Bauernhaus kaufen. Dieser Tage bereiten sich Einwohner und Gäste des Dorfes auf das örtliche Volksfest vor, das am 21. September stattfinden wird. Die alten Menschen strahlen vor Glück, wenn sie Gäste sehen und ihnen alte Geschichten erzählen können. Lobesworte werden über die Freiwilligen gesagt und berichtet, wie sie beispielsweise ihren Garten umgegraben haben. Wenn sie ihre Gäste verabschieden, tun sie es mit feuchten Augen...

Viel Zuneigung, viel Wärme und große gegenseitige Hilfe“, meint Anelija Radulowa. „Die einen, wie auch die anderen bekommen das Gefühl, dass man sich besser fühlt, wenn man gibt, anstatt zu Hause herumzuhocken. Es besteht keine Grenze zwischen den Generationen. Das haben alle feststellen müssen, auch wenn sie zuweilen 50 Jahre trennen. Die alten Menschen kommunizieren mit den jüngeren sehr leicht und beide Seiten bereichern sich. Die einen lernen Traditionen kennen, die anderen erfahren Neuigkeiten aus der Stadt.“

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow

Fotos: Privatarchiv



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