Der Schatz an Dokumenten, Handschriften und Drucken, den das Zographos-Kloster auf der Athos-Halbinsel in all den Jahrhunderten seines Bestehens gehortet hat, versammelte Wissenschaftler aus Europa und Amerika auf einer internationalen Konferenz in der Sofioter Universität „Heiliger Kliment von Ohrid“. Auf dem Forum stellten sie ihre jüngsten Entdeckungen vor, die sie in den Archiven des Klosters gemacht haben.
Die Gründung des Zographos-Klosters geht auf das 9. oder 10. Jahrhunderts zurück. In einer Kaiserurkunde aus dem 14. bis 16. Jahrhundert werden als Gründer die Brüder Moses, Aaron und Johannes aus Ohrid genannt, die während der Herrschaft des byzantinischen Kaisers Leo VI. eine Kirche errichtet haben, an deren Stelle sich das heutige Kloster befindet. Da sie sich jedoch nicht über den Patron der Kirche einigen konnten, stellten sie eine unbemalte Holztafel in dem Gebäude auf und baten Gott, Er möge ihnen ein Zeichen geben. Anderntags, als sie die Kirche betraten, sahen sie auf der Holztafel die Ikone des heiligen Georg, dem sie dann die Kirche weihten. Das später an dieser Stelle errichtete Koster übernahm den Heiligen, dem in Erinnerung an das wundersame Erscheinen des Heiligenbildes als Beiname „Zographos“ – der „Maler“ gegeben wurde.
Anfang des vergangenen Jahrhunderts entdeckte der Wissenschaftler Jordan Iwanow diese Kaiserurkunde, die in der Folgezeit eingehend erforscht wurde. Die jüngsten Ergebnisse wurden auf der Konferenz vorgestellt:
„Zum ersten Mal wurden alle Abschriften des Dokuments gezeigt, die mit der Urkunde in Verbindung stehen. Auf der Grundlage dieser Beschreibungen konnte analysiert werden, wann und auf welche Weise das Georgs-Kloster entstanden ist“, erzählte uns Prof. Andrej Bojadschiew vom Lehrstuhl für „Kyrill- und Method-Forschungen“ der Sofioter Universität. „Da es sich jedoch um eine Legende handelt, die aus mehreren Quellen zusammengestellt worden ist, bleibt immer ein Funken des Zweifels, dass das Kloster im Jahr 919 gegründet worden ist. Für uns sind jedoch die Bezüge wichtig, die dieses Dokument zu anderen Klöstern, Quellen und Legenden aufzweigt. Die Kaiserurkunde ist ferner allein vom Text her interessant. Auch ihr Äußeres ist ansprechend – es handelt sich um eine der längsten Handschriftenrollen des slawischen Schrifttums.“
Die Klosterbibliothek bewahrt etliche Dokumente im Zusammenhang mit dem frühen altbulgarischen Schrifttum auf. Aber auch die Slawobulgarische Geschichte des Mönchs Paissij aus dem 18. Jahrhundert wird hier gehütet.
„Bereits mit seiner Gründung kann das Georgs-Kloster mit der slawischen Schriftkultur in Verbindung gebracht werden“, sagt weiter Prof. Bojadschiew. „Das älteste erhaltene Dokument in der Sammlung stammt aus dem 10. Jahrhundert. Es hat Seltenheitswert, da aus jener Epoche nur wenige Schriftzeugnisse erhalten sind, die mit Bulgarien in Zusammenhang stehen, das kulturell im Aufstieg begriffen war. Dank des Archivs des Zographos-Klosters konnten wir nun eine Brücke zwischen der altbulgarischen Kultur und der des sogenannten „Silbernen Zeitalters“ im 14. Jahrhundert schlagen. Es gelang uns, die Entwicklung der lebendigen Kultur zu verfolgen, die sie in 10 Jahrhunderten in einem Kulturzentrum erlebt hat. Im Zographos-Klosters ist nämlich das geistige Leben nie erloschen.“
In der Nationalbibliothek in Sofia sind derzeit Kopien einer der wertvollsten und interessantesten Dokumente des Zographos-Klosters ausgestellt:
„Das bulgarische Kloster gestaltet zum ersten Mal eine Ausstellung, in der die Struktur seiner Werte, die mit der Geschichte, der Kultur und des Geistes in Verbindung stehen, verdeutlicht wird. Und das sind untrennbare Dinge, denn wir leben nicht einzig in einer geistigen, sondern auch in einer materiellen Welt“, sagt der Priester Kosma Popowski von Kirchenhistorischen Institut des Bulgarischen Patriarchats. „Keiner weiß genau, wie groß die Klosterbibliothek ist, denn ständig stoßen die Wissenschaftler auf neues Archivmaterial, da eine eingehende Inventarisierung des gesamten Materials nie erfolgt ist. Das späte Archiv des Klosters war bis vor kurzem noch unangetastet und erst in jüngster Zeit konnten Wissenschaftler eingehende Studien betreiben. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Klöster der Athos-Halbinsel rege Kontakte untereinander und überhaupt zur orthodoxen Welt unterhielten.“
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
Fotos: Diana Zankowa und Privatarchiv
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