Mal zahm und folgsam, mal störrisch – der Esel ist seit mindestens 5.000 Jahren ein Helfer des Menschen. Wenn man in den „Eselsgeschichten“ der Bulgaren schmökert, wird man feststellen, dass man bis heute diesem arbeitsamen Vierbeiner Liebe und Achtung entgegenbringt. Und dennoch nimmt die Zahl der Esel weltweit, so auch in Bulgarien stetig ab. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vor Augen führt, dass der Esel als Last- und Zugtier in der Landwirtschaft zunehmend von moderner Technik verdrängt wird. In Bulgarien gehört zudem die Landwirtschaft (einschließlich Nutztierhaltung) zu jenen Zweigen, mit denen sich immer weniger junge Menschen beschäftigen wollen.
Was macht man nun aber mit den pensionierten Eseln? Seit rund 7 Jahren gibt es in unserem Land ein spezielles Heim, in dem sie ihren verdienten Ruhestand genießen können. Mittlerweile hat es sich in eine Touristenattraktion verwandelt, denn die Landschaft ist überaus reizend, in der die rund 50 Langohren leben.
„Nieder mit dem Eselshaften im Menschen, achte das Menschliche im Esel!“
Unter diesem Motto wird seit 1971 (mit einigen Unterbrechungen) in der Stadt Gurkowo bei Stara Sagora in Mittelbulgarien eine Bio-Rallye veranstaltet, die nicht mit Fahrzeugen, sondern mit Eseln ausgetragen wird. Die Idee dazu stammte von drei Studenten, die ihren Geburtsort berühmt machen wollten. Es handelt sich übrigens auch um das weltweit erste Rennen dieser Art und wurde entsprechend patentiert. Zu den Disziplinen gehören u.a. ein Wettrennen für Eselskarren und ein sogenanntes „Nackt-Reiten“. Man nennt es so, nicht etwa weil die Reiter nackt sind, sondern weil sie ohne Sattel reiten. Verboten sind jegliche „Doping-Mittel“, wie Peitsche, Gerte, Pferdebremsen und scharfe Paprika... Durchgeführt wird ferner eine „Misswahl“ für die schönste Eselin; die Namen der Teilnehmer sind auch überaus erheiternd – im vergangenen Jahr hieß einer der Esel Coronavirus...
„Reite Esel, lobe Pferde!“
In Bulgarien wird der Esel seit jeher als Lasttier benutzt. Der Volksmund nennt ihn auch das „Pferd der Armen“. Unsere Vorfahren rieten daher, dass man keinen Esel reiten dürfe, wenigstens nicht tagsüber, wenn man von anderen gesehen werden könnte, denn es schade dem Ansehen. Die niedrigere Stellung des Esels im Vergleich zum Pferd kann man in einigen alten Bräuchen „nachlesen“. Ein Beispiel: Wenn es sich in der Hochzeitsnacht herausstellen sollte, dass die Braut keine Jungfer gewesen ist, brachte man sie am Tag darauf ihren Eltern zurück. Dabei wurde sie, bekleidet nur mit einem Hemd, auf einen ungesattelten Esel gesetzt und noch dazu rücklings.
Einige unliebsame Eigenschaften des Esels werden bis heute in der Umgangssprache benutzt, wie beispielsweise jemand sei „störrisch wie ein Esel“. Der Vergleich mit diesem Vierbeiner war früher derart beleidigend, dass man sich im März nicht die Haare schneiden ließ, weil nämlich in diesem Monat des Jahres die Esel geschoren werden.
Doch sehr oft gab man dem Esel den Vorzug, denn er ist bekanntlich sehr geduldig, besitzt ein starkes Durchhaltevermögen, frisst wenig, arbeitet viel und kann schwere Lasten tragen. Zudem ist er für unwegsames Gelände ideal, wo andere Lasttiere scheitern. Daher findet man in den bulgarischen „Eselsgeschichten“ nicht nur Witze, Scherze und Sprichwörter. In einigen Volksmärchen ist der Esel sogar weiser als das eitle Pferd.
Eine der interessantesten „Geschichten“ ist jedoch die, dass seit 2018 der 8. Mai als Welttag des Esels begangen wird. Die Idee dazu stammt vom Tierarzt Dr. Abdul Raziq Kakar aus der pakistanischen Provinz Belutschistan. Für Radio Bulgarien schrieb er folgende Zeilen:
„Während ich mich wissenschaftlich dem Kamel widmete, erfuhr ich über die wichtige Rolle des Esels als Nutztier, das zudem problemlos längere Zeit Wasser und Nahrung entbehren kann. Nachdem ich meine Dissertation abschloss, wandte ich mich diesem interessanten Tier zu. Ich schrieb einige Artikel über die verschiedenen Arten und Gemeinschaften dieser Tiere. Leider wird ihnen viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Ich trat mit vielen Menschen auf der ganzen Welt in Kontakt, die Interesse an Eseln haben. So fand ich Peta Jones, die mich unterstützte, einen Welttag des Esels einzuführen. Sie schlug den 8. Mai vor, da dieser Tag genau eine Woche nach dem 1. Mai – dem internationalen Tag der Arbeit, liegt; schließlich ist der Esel ein wichtiges Arbeitstier.
Als man den Welttag des Esels ausrief, musste ich feststellen, dass die Menschen diesem Tier großes Interesse entgegenbringen. Ich richtete eine Facebook-Seite ein, die in kurzer Zeit sehr viele Anhänger fand. Das Interesse am Esel ist weltweit gestiegen, was mich sehr freut. Ihr Land gehört zu den wichtigsten Lebensräumen des Esels, der von den Menschen geachtet wird.“
Laut Dr. Raziq ist der 8. Mai ein guter Anlass, sich ein wenig mit der Geschichte und Natur des Esels auseinanderzusetzen und diesem unermüdlichen Helfer des Menschen die nötige Achtung zu erweisen. Also: herzlichen Glückwunsch zum Welttag des Esels!
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
Fotos: Archiv, Pixabay, starazagora.utre.bg
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