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Die Sicherungen sind durchgebrannt...

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Die unabhängige bulgarische Regulierungsbehörde, die zweimal im Jahr die Stromtarife festlegt, hat ab dem 1. Juli die Anhebung der Strompreise für die Privathaushalte um 2% und für die Unternehmen um knapp 25% beschlossen. Das hat in Geschäftskreisen für eine nie da gewesene Unzufriedenheit geführt. Sie haben berechnet, dass überteuerter Strom ihre Wettbewerbsfähigkeit und damit ihr Geschäft zugrunde richte.

Selbst Ministerpräsident Bojko Borissow stellte sich hinter die Industrie und forderte zumindest bis Jahresende von einer Verteuerung abzusehen. Und das aus gutem Grund. Denn eventuelle Massenproteste infolge der unzumutbaren Strompreiserhöhung, die bereits 2013 zum Rücktritt seiner Regierung geführt hatten, sind auch jetzt nicht auszuschließen. Nun hat sich seine Regierung de facto gegen den Beschluss der Regulierungsbehörde gestellt, der laut Gesetz jedoch von niemandem beeinflusst werden darf. Offene und direkte Einwirkung geht nicht. Dafür aber kann man sich persönlicher und weniger persönlicher politischer Kontakte und der Einflussnahme bedienen. Immerhin sind die Mitglieder dieser Regulierungsbehörde Vertreter des Parlaments und damit an gewisse Vorgaben ihrer Parteistrukturen gebunden. Genau dieser Waffe bedient sich nun Ministerpräsident Bojko Borissow - der Waffe der Publizität und Sorge um die Interessen von Wirtschaft und Gesellschaft. Und so berief er am Sonntag so etwas wie eine erweiterte außerordentliche Regierungssitzung ein, auf welcher die Ressortchefs, Experten und Analysten zugegen waren. Erforderlich machte sich diese blitzartige Reaktion im Zuge der nicht absehbaren, jedoch unausweichlich schweren Folgen der Stromverteuerung für die Wirtschaft und die Ankündigung, dass die Fabriken ab Freitag in einen einstündigen Warnstreik treten- sowie Personalabbau, Gehaltskürzungen, Produktionsdrosselung und noch viele andere Kataklysmen dieser Art folgen werden.

In politischen Kreisen ist man sich offenbar einig, dass die Anhebung der Strompreise kein Thema ist. Eine Ausnahme macht da lediglich der Juniorpartner der Regierung "Bulgarien für die Bürger" der früheren EU-Kommissarin und heutigen stellvertretenden Regierungschefin Meglena Kunewa.

Im bulgarischen Energiewesen tickt seit langem eine Bombe. Ihre Explosion war nur eine Frage der Zeit und Umstände. Die unabhängige Regulierungsbehörde mit dem namhaften Iwan Iwanow an der Spitze hat offensichtlich befunden, dass dieser Zeitpunkt gekommen ist. Denn, der staatliche Stromversorger ist praktisch Pleite, ihr staatlicher Inhaber – die Bulgarische Energieholding – hat nun zehn Tage Zeit, seine ausstehenden Altschulden von knapp 500 Millionen Euro gegenüber den Kraftwerken zu begleichen. Es gibt derart viele Probleme, die sich seit Jahren angehäuft und so gewaltige Ausmaße angenommen haben, dass auf der gestrigen Sondersitzung der Regierung nur eine einzige Entscheidung getroffen werden konnte. Und zwar – in den kommenden drei Jahren müssen die staatlichen Stromgesellschaften ihre Verwaltungsausgaben kürzen, und zwar um 10% jährlich. Das wird sich wohl kaum spürbar auf das gesamte Energiesystem auswirken, ist jedoch eine kluge Entscheidung. Denn, obwohl die Branche rote Zahlen schreibt, beträgt der Durchschnittslohn hier das Doppelte des Landesdurchschnitts. Eine weitere wichtige Entscheidung der Regierung ist, die Probleme im Energiewesen nun endlich offen auf den Tisch zu legen, damit das Parlament die dringend erforderlichen Gesundungsmaßnahmen verabschieden kann. Anderenfalls könnte das Energiewesen die gesamte Wirtschaft ins Wanken bringen, meinte der Chef der Bulgarischen Wirtschaftskammer Boschidar Danew.

Genau das will Ministerpräsident Bojko Borissow unbedingt vermeiden, zumal er auf die überraschend guten Wirtschaftsdaten seit seinem Amtsantritt im Herbst vergangenen Jahres sehr stolz ist. Nicht zu vergessen, dass in diesem Herbst Kommunalwahlen anstehen, die unbedingt gewonnen werden müssen, damit seine GERB-Partei überall im Land ungestört schalten und walten kann. Die Regulierungsbehörde deutete bereits an, die Strompreisverteuerung könnte um einen Monat aufgeschoben werden, damit in diesem Zeitraum vertieft nach einem Ausweg aus der Krise gesucht werden kann.

Übersetzung: Christine Christov



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