Eine aufgeregte Menge rauft sich im Zentrum Sofias um eine Zeitung, deren letzte Exemplare sie dem Karikaturisten, der sie verteilt, buchstäblich aus den Händen reißt. Die Szene erinnert an das ferne Jahr 1990, als in Bulgarien die erste Oppositionszeitung erschien und die Menschen die Zeitungsstände belagerten, um die ersten Züge Freiheit zu genießen. Nur – wir schreiben inzwischen das Jahr 2017. Und all das passiert in eben dem Bulgarien, das seit 10 Jahren EU-Mitglied ist und sich in Sachen Meinungsfreiheit weltweit auf Platz 113 reiht.
Am 1. März sollte die erste Ausgabe der Zeitung der ungezogenen Karikaturisten erscheinen – als Kontrapunkt jener Medien, die unterwürfig die Starken des Tages bedienen. Auf unsere Frage, wer die Verbreitung der Zeitung verhindert, meint der Journalist Iwan Bakalow: „Wollen Sie einen Namen hören? Sie können ihn haben – das ist die Firma „Nationale Distribution“, hinter der Deljan Peewski steht. Sein Name figuriert selbstverständlich nicht auf der Inhaberliste“, ergänzt Iwan Bakalow. Er erklärt, dass Irena Krastewa, die Mutter von Deljan Peewski, offiziell die Inhaberin der Firma ist und Wladimir Gerginski bevollmächtigt hat, sie zu vertreten. Und weiter erzählt uns Iwan Bakalow Folgendes:
“Wir haben die Firma „Nationale Distribution“ besucht, um Verhandlungen über die Verbreitung unserer Zeitung zu führen (das ist die größte Zeitungsvertriebsfirma, ein Monopolist, wie er im Buche steht). Das erste, was wir zu hören bekamen war, man müsse abwarten, ob Deljan Peewski unsere Zeitung billigt oder nicht. Wir haben ihnen ein Zeitungsexemplar überlassen, damit es allen zeigen können. Sie meinten: „Auch Sie haben Kontakte, Sie sollten ihn ebenfalls benachrichtigen“. Ihn, den Boss im Schatten, der nirgendwo als Inhaber figuriert, aber das Sagen hat. Als wir dann erneut hingingen, um den Vertriebsvertrag zu unterzeichnen, war die erste Frage an uns, ob wir Deljan Peewski darüber benachrichtigt hätten. Später wurde klar, dass jemand angeordnet hat, den Vertrieb zu stoppen. Das ist ein altbewährter schmutziger Trick. Jemand in den obersten Machtetagen regt sich über die Karikaturen auf, besonders am Vorabend der Wahlen und verhindert auf brutale Weise, dass die Zeitung erscheint. Einst wurde das zu sozialistischen Zeiten so gehandhabt“, sagt Iwan Bakalow.
Der Karikaturist Tschawdar Nikolow bezeichnet diesen Akt als Unterdrückung der Meinungsfreiheit und der Initiative und als elementare Missachtung der gesellschaftlichen Grundregeln.
„Das dank der Karikaturen von Christo Komarnizki popularisierte Wortgebilde „Prass-Press“ gilt jener Presse, die den Markt beherrscht und wie eine Keule zuschlägt. Darin steht zu lesen, dass wir mit Iwan Kostow (Premierminister 1997–2001 – Anm. d. Red.) in Dragalewzi frühstücken, dass wir für die Oligarchen Prokopiew und Dontschew arbeiten usw. Wir wollen mit all diesen Lügen, Unterstellungen, Gemeinheiten, Heuchelei und Korruption aufräumen“, erläutert Tschawdar Nikolow.
Seiner Ansicht nach wurde die Verbreitung der neuen Zeitung verhindert, weil Führungspolitiker in Bulgarien nicht gut auf die Gilde zu sprechen sind.
„Die Politiker begannen, auf die Karikaturisten böse zu sein, nachdem Bojko Borissow an die Macht gekommen ist. Er ist stets mit irgendetwas unzufrieden und wollte uns sogar weiß machen, dass er die Karikaturen besser hinbekommen würde“, erinnert sich Tschawdar Nikolow. „Es gab früher einen Ministerpräsidenten, dessen Ohren mal denen des russischen Trickfilmhelden Tscheburaschka, mal denen von Mickey Mouse glichen – je nachdem, ob er im Westen oder im Osten zu Besuch war. Dieser Ministerpräsident (gemeint ist Sergej Stanischew– Anm. d. Red.) wollte der Zeitung, für die ich damals gearbeitet habe, kein Interview geben, weil er seine Ohren nicht mochte. Die Karikatur hält aber die Politiker nahe am Boden, sie trägt dazu bei, dass mit Hilfe der Verzerrung der Wahrheit näher kommt. Deshalb machen wir die Schwachstellen der Politiker aus und stellen sie gezielt viel korpulenter, hinterhältiger und verlogener vor, damit sie nicht glauben, sie wären den Göttern gleich“, sagt Taschwdar Nikolow.
Ähnlich der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo, die ein Vorbild für schöpferische Freiheit ist, wird auch Prass-Press alle zwei Wochen erscheinen. Ob sie aber auch so extrem sein wird? „Die Menschen setzen die Grenzen“, meint Taschwdar Nikolow. Seinen Worten zufolge wollen die Karikaturen eine Reaktion provozieren. Wenn die Menschen aber taub seien, müsse man ein Sprachrohr nehmen und posaunen.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
* In der bulgarischen Öffentlichkeit ist mit #Wer seit den Antiregierungsprotesten 2013 die Person von Deljan Peewski gemeint. Im Juni 2013 war die Wahl von Deljan Peewski zum Chef des Nationalen Sicherheitsdienstes das auslösende Moment für massenhafte Demonstrationen gegen das Kabinett der bulgarischen sozialistischen Partei, das mit der Unterstützung der Türkenpartei Bewegung für Rechte und Freiheiten gebildet wurde. Peewski, der Abgeordneter aus den Reihen der Bewegung für Rechte und Freiheiten war, in der Öffentlichkeit aber mehr als ein dubioser Geschäftsmann und Medienmagnat bekannt ist, trat auf Druck der spontanen Proteste zurück. Trotz des Rücktritts von Peewski dauerten die Antiregierungsproteste noch mehrere Monate bis zum Rücktritt des Kabinetts an. Deljan Peewski wurde auch ins nächste Parlament gewählt. Der Anteil der mit ihm verbundenen Firmen im Mediensektor steigt von Jahr zu Jahr.
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