Der Wahlkampf für die am 4. April geplanten Parlamentswahlen in Bulgarien hat noch nicht begonnen, die politischen Beobachter stellen jedoch bereits erste Prognosen auf. Sie betreffen eher den Charakter des Wahlkampfs, als die Ideen und die Politik, die die einzelnen Kandidaten verfolgen werden, denn noch sind keine Wahllisten und Programme aufgestellt. Momentan sieht die Lage ungewohnt aus. Die Corona-Krise hat in den Menschen Angst ums eigene Überleben aufkommen lassen; die Politiker ihrerseits kämpfen zudem um die Macht. Beides sind zwei ureigene extreme menschliche Gefühle, die in ruhigeren Zeiten gebändigt werden können, doch momentan die Oberhand gewinnen, ist der Sozialanthropologe Haralan Alexandrow überzeugt, der sich dazu in einem Interview für den BNR äußerte:
„Ich bin der Ansicht, dass das bulgarische Volk alle politischen Spieler in ein Verhandlungsregime versetzen wird - trotz aller Kritiken und Anfeindung untereinander. Das wird unumgänglich sein, da das Parlament recht bunt aussehen wird – mit zureichend Vertretern aller politischen Nuancen, Stimmungen und Zukunftsvisionen. Zu den verschiedenen Standpunkten Vertreter zu haben - das ist die beste Weise zur Stabilisierung einer Gesellschaft. Die Politiker ihrerseits müssen nun Reife und Weisheit beweisen und zu Kompromissen bereit sein.“
Trotz der ausgeprägten Führungsrolle der Vorsitzenden in den einzelnen politischen Formationen, dürfe keinesfalls auch der Staatspräsident unterschätzt werden, auch wenn er keiner Partei vorsteht.
„Es besteht kein Zweifel daran, dass er sich als Anführer der Kritiker an den Zukunftsperspektiven in Bulgarien zu erkennen geben wird“, ist Haralan Alexandrow überzeugt. „Es gibt viele Menschen in Bulgarien, die die Realität in Bulgarien nicht wahrhaben wollen. Sie haben das Gefühl, dass unsere Welt nicht perfekt ist, besonders, wenn sie sie mit der der entwickelten Industrieländer vergleichen. Diese Menschen brauchen einen solchen Anführer, der einen entsprechenden Kurs dorthin aufrechterhält. Der Präsident wird dieser Rolle überaus gerecht.“
Eine solche Tendenz in den Erwartungen der Öffentlichkeit ist nach einem Jahrzehnt voll auf gerechtfertigt, in dem eine der Parteien unentwegt mit an der Macht ist.
„Die GERB-Partei hat ein feudales Modell sozialistischen Typs aufgebaut und ist mit dem Staat verschmolzen, so dass sie jenseits der Macht nicht leben kann. Sie wird also alles mit Hilfe der von ihr besetzten staatlichen Institutionen unternehmen, damit es keine ehrlichen Wahlen gibt“, kommentiert seinerseits der Politologe Ewgenij Dajnow in einem Interview für den BNR.
Die Ablehnung des von den Regierenden geschaffenen Modells könnte dazu führen, dass die Sympathisanten der GERB-Partei auch gegen sie stimmen könnten, um die Hegemonie, die diese Partei in einigen Regionen besitzt, zu brechen und Bojko Borissow zu stoppen, meint Dajnow. Was die Zweifel an der Ehrlichkeit der Wahlen anbelangt, ist der Politologe davon überzeugt, dass sich einzig eine hohe Wahlaktivität dem Einfluss der „korporativen Stimme“, der sich jede der großen Parteien in den einzelnen Regionen des Landes bedient, widersetzen könne.
Autoren: Sylvia Welikowa und Petar Wolgin vom BNR-Inlandsprogramm „Horizont“
Für Radio Bulgarien bearbeitet: Joan Kolev
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
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